57 Montreux Jazz Festival: Mavis Staples und Norah Jones
Montreux, 10.7.2023
Soulful Night – Mavis Staples und Norah Jones in Montreux
Heiße Julitage. Türkis leuchtet der See, schroffe Alpengipfel in der Ferne, davor in die waldigen Abhänge gebaut dieser Nobel-Ort am Genfer See, der sich seit 57 Jahren alljährlich für zwei Wochen im Sommer zu einer Kultstätte für Musikfans verwandelt. Montreux 2023 – die Mischung liest sich wie schon oft abenteuerlich: Iggy Pop, Pat Metheny, Christine and the Queens, für fast 400 Franken gibt’s Bob Dylan Tickets. Und dann gibt’s noch `unseren` Abend im Auditorium Stravinski mit den beiden Sängerinnen Mavis Staples und Norah Jones, die auch in dieser Reihenfolge auftreten. Gleich vorweg soviel: Es sollte großartig werden. Soll am Anfang die routiniert – abgeklärte- und in jeder Millisekunde in die Tiefe führende Band stehen, die das Terrain bestellt für Mavis Staples, eine der ganz großen Legenden amerikanischer Musik? Oder dieser Moment als am Ende des Konzertes der Gospel- und Blues Legende, als Norah Jones auftaucht, ein Blumenstrauß überreicht, `Happy Birthday Dear Mavis` angestimmt und ganz deutlich wird, wir – das Publikum –, wir erleben da grad magische, historische Momente. Aber der Reihe nach:
I´ll take you there
Da hatte uns nämlich an diesem glühend heißen Juliabend eine der größten und dazu noch lebende Künstlerin des Gospel, Blues, Soul & Jazz zu einer ziemlich einmalige Reise durch die (Musik -) Geschichte eingeladen. Basis: Diese zuverlässig rollende und in jedem Moment groovende Band mit Rick Holstrom an einer manchmal spitzen, funkigen, dann wieder zutiefst bluesigen Gitarre; so was wie ein zuverlässiger und konstanter Grundpuls. Und da war eine bestens gestimmte Mavis Staples, die es sich nicht nehmen ließ, an ihrem 84. Geburtstag alle Register zu ziehen, jung oder alt in die Pflicht zu nehmen, zu mahnen, zu erzählen, aufzurütteln. I´m a soldier of love, singt sie, schreits´s raus und beschwört die Geister der Windy City. Versammelt Muddy Waters, Buddy Guy und Howlin´ Wolf in ihrem imaginären Backgroundchor und nimmt das ausverkaufte Auditorium Strawinski mit auf diesen Time Trip. Angefangen beim Gospel und Blues ihrer Jugendzeit, als Vater Pops Staples mit seinen Kindern den Gospel Train abfahren ließ. Mavis rockt, Mavis swingt, Mavis singt den Blues. Wir rollen weiter, durch die 60er, Civil Rights Movement, treffen mit ihr auf Martin Luther King, dessen Weg sie begleitet hat, trauern mit ihr, erleben wie die Band in Richtung San Francisco/Westcoast abbiegt und sind an Bord, wenn Mavis Staples, ganz gleich, ob in ihren Ansagen oder ihren Songs, durch die Jahrzehnte reist. Kennedy, Obama, ein gnadenlos funkig – straightes `Slippery People`. Wir erleben eine absolute Powerfrau, die manchmal an ihrem Heißgetränk nippt um die Stimme zu pflegen, und dann wieder voll einsteigt. Leise gibt es nicht bei Mavis Stapels. Sie ist Soul, sie ist Blues, sie lullt nicht ein: Denn immer gab und gibt es Kämpfe, und immer noch ist ihre Antwort: `… love ist he only weapon… Das ist keine zurückgezogene Romantik, das ist Power of love. In Mavis Staples Musik lässt tief empfingen: immer – immer wieder und immer noch – gibt es diese Sehnsucht und diese Hoffnung, und das ist 2023 ähnlich wie 1963. Und wem`s zu groß erscheint, die ganze Welt zu verändern, für den hat sie eine so schlichte wie fundamentale Botschaft: `Respect yourself` einer ihrer großen Klassiker. Das Finale: `I`ll take you there` ein wunderbar groovender Schluss Song mit Raum für alle auf der Bühne und im Publikum, einzusteigen und immer weiter zu reisen auf diesem wunderbaren soultrain…….
In keinem Moment kitschig – Songs wie Aquarelle
Nach der Pause ist es noch enger in der Stehplatzzone, und es nicht so ganz einfach, sich nach dem fulminanten Auftritt von Mavis Staples zu sammeln, sich wieder einzufinden. Norah Jones tritt in leuchtend grünem Blazer auf. Die Bühne ist ein Gemälde. Farben, Instrumente, Licht. Und dann natürlich der Klang, die Musik. Norah Jones versucht gleich gar nicht, an den energiegeladenen Auftritt von Mavis Staples anzuknüpfen. Wenige Worte nur. Sie setzt sich ans Klavier und spielt. Und singt. Sanft und sicher. Zusammen mit ihrer Band gelingen ihr wunderbare Stimmungen, Klangbilder und feine Nuancen. Oberflächlich gehört könnte die Songabfolge ein bisschen gleichförmig wirken. Aber tatsächlich sind es die Feinheiten, die der Musik von Norah Jones und ihren Begleitmusikern Tiefe verleihen. Wenn sie nach ein paar Songs zum Fender Rhodes wechselt, wenn sie sich noch ein paar Songs später die e – Gitarre umhängt, der Gitarrist der Band an die Pedal – Steel wechselt, dann entstehen ohne Brüche, aber deutlich hör- und sichtbar immer wieder ganz andere, neue Klangwelten. Norah Jones brennt keine Feuerwerke ab, ist aber eine gefühlvolle und versierte Instrumentalistin und Improvi-satorin. Pure Poesie in ihrer Musik, da ist Blues, da klingt Country mit, Jazz natürlich, und über allem eine gehörige Portion Melancholie. Und da sind die Hits, die immer wieder aufleuchten und sich wie Wellen durch den Saal verbreiten. `I´m glad to play here today,…with or baby–sister Norah….` hat ganz zu Beginn des Abends Mavis Staples verkündet. Die beiden kennen sich gut, sind seit Jahren befreundet und haben auch miteinander aufgenommen. Den Song `Friendship` zum Beispiel. Wenn Norah Jones dann Sunrise anstimmt oder The Nearness of you, dann wird vollends deutlich, was das Verbindende ist, an diesem Abend. Es ist eine Seelen-verwandtschaft, der 40 – Jahre Altersunterschied nichts ausmachen. Es ist Soul.
Night on the water
Draußen Nacht. Es hat geregnet, während unserer soulnight. Auf dem Uferweg tobt das Festival. Hunderte, wahrscheinlich tausende junge Menschen, die sich von einer zur nächsten Bühne bewegen. Electro, Hiphop, Techno oder Latin. Vor 33 Jahren waren wir schon mal hier. Damals hat Miles Davis gespielt, und wir haben im Kombi direkt am See übernachtet und waren am Morgen nach dem Konzert schwimmen im See. Heute gibt es um die `Hauptkonzerte` jede Menge `Eintritt – freies` – Programm auf 10 Bühnen, junge Menschen, die sich begeistern – auch für die Musik. Wer unbedingt will, kann natürlich auch ein Glas Weißwein für 11 CHF im noblen und legendären Montreux Jazz Café trinken und e-Porsches vorbeigleiten sehen. Montreux ist aber vor allem Offenheit und Überraschung. Jeden Abend ab halbelf ist Session im Lake House und jeden Abend klingt sie anders. Und wenn diese Musik auch oft nicht in die Schublädchen von Jazz – Puristen passt: Mit Mavis` & Norah`s Soul und den spacigen electro sounds im Ohr und mit der Aussicht auf ein Bad am nächsten Morgen im türkisen See: Montreux c´est une rêve. Und real Jazz.
Tom Hagenauer
….und dann weiter nach Stuttgart: jazzopen 2023 aktuell