Bill Frisell Trio im Sudhaus Tübingen 2022

Bill Frisell – g
Tony Scherr – b
Kenny Wollesen – dr

Tübingen, 6.5.2022

Viel Raum & Zeit – (zu) selten spacig

20:00

Wärmende Abendsonne taucht Treppe und Eingang zum Sudhaus in harmonisch-orangenes Licht. Radfahrer*innen und dunkle Limousinen mit Kennzeichen wie MA, F, S, A oder aus der Schweiz suchen Parkplätze. Eine wunderbar-vorfreudige Atmosphäre. Viele haben ihre Lieblingsstücke in Kopf und Herz, freuen sich seit langem auf dieses Konzert. Die Tübinger Veranstalter `Jazz im Prinz Karl` und Sudhaus haben tolle Arbeit geleistet: Bill Frisell, der Meister der leisen Töne, Klangfarbenmaler und einer, der uns Amerika immer mit viel Seele verstehbar gemacht hat – er wird hier, in wenigen Minuten spielen. Immer wieder verschoben, einziges Konzert in Deutschland. Hier, heute, jetzt und in einer wirren Zeit. Wir sind bereit.

20:30

Das Sudhaus, der große neue Saal, vollbesetzt. Sachte, zarte Töne formen einen leichten Blues. Sensibles und intensives Zusammenspiel eines Trios, das von diesem luftigen Blues zu Bluegrass, Country, in `klassische` Jazzlandschaften oder in fast abstrakte freie Passagen wandert. Ein Trio – Kenny Wollesen am Schlagzeug und Tony Scherr am Bass – mit dem Bill Frisell an diesem Abend mit viel Zeit seine Klangwelt in den Raum stellt; große Bühne, klarer Sound, fein austariertes Licht.  Zu hören: der pure, manchmal fast reinakustischen Klang von Frisells e-Gitarre, ab und zu ein markanter Snare – Schlag, ansonsten bewegen sich auch Wollesen und Scherr eher zurückhaltend. Zwischen den Stücken, den Melodie- und Soundfragmenten immer wieder kurze Loop&Sampler – Sequenzen, die Gehörtes bündeln und die Zäsur zum nächsten Bild markieren. Abrupt manchmal, wie abgeschnitten oder gar nicht wirklich in einen Spielfluss gekommen wirkte das, bis dann kurz vor der Pause eine der Melodien ein bisschen länger wirken durfte. Es könnte `Shenandoah` gewesen sein, ein Folksong – Klassiker, in dem der Sound der Band weit wurde, ein Groove nicht nur die Band sondern auch das Publikum zu erfassen begann, sich Zurückhaltung und Anspannung zu lösen schien. Aber dann war ziemlich schnell Pause.

21:30

Die Pausengespräche haben eine gewisse Widersprüchlichkeit nicht aufgelöst: Wunderbares Konzert, ruhiger Fluss, Genuss, ein meisterlich und in feiner Zurückhaltung aufgeblätterter Bilderbogen oder eben: Fragezeichen. Bill Frisell und sein Trio, das waren doch Leute, die in den 1980ern und 90ern mit zum Teil irre wildem Zeug in der Band von John Zorn und im Umfeld der legendären New Yorker Knitting Factory für Furore sorgten. Oder dann später einen elektrisierenden universellen Country – Americana – Sound entwickelten, der zwar oft nicht mehr so arg viel mit Jazz tun hatte, aber mit wunderbaren Alben mit Titeln wie `East – West`, `Good Dog, Happy Man` oder `Guitar in the Space Age` fast unwiderstehlichen Sog und Tiefenwirkung erzeugen konnten.

22:30

Im zweiten Set, ziemlich genau um halb elf geschah dann nochmal was. Das Licht wechselte in gelb-silbrig-türkise Töne und mit einem Schlag war auch die Band verwandelt, war richtig da, hellwach, wie der ganze Saal. Whow. Die drei legten ab, segelten los, wurden auch ein bisschen lauter als vorher, und überhaupt war plötzlich alles offener, heller und dunkler, lebendiger. Da aber auch in diesem zweiten Teil des Auftritts, also vor und nach dieser fast erlösenden Eruption, wieder die eher leisen, introvertiert gespielten Töne und Melodien dominierten, hieß das wohl, dass der Meister dieser leisen Töne, Bill Frisell und sein Trio es eben an diesem Abend so – nennen wir`s zurückhaltend und etwas verschlossen – wollten. Immerhin: Ein paar Momente öffneten sie für die, die was anderes erwartet hatten, die Tür zu einer eher brodeligen, spacigen Klangküche.  Und nicht verschwiegen werden darf natürlich der Schlusspunkt des Abends, `We Shall Overcome`, die Hymne eines politischen Amerikas, die Frisell nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Programm hat. Auch dieses Stück schöpfte nochmal den ganzen Klangkosmos aus und entließ uns – jede*n mit den eigenen Gedanken – in die Nacht.

Tom Hagenauer

Portraits von Bill Frisell

Portraits von Tony Scherr

Portraits von Kenny Wollesen