Mareike Wiening – Reveal
Mareike Wiening – Schlagzeug
Rich Perry – Saxophon
Glenn Zaleski – Piano
Alex Goodman – Gitarre
Johannes Felscher – Bass
Special Guest:
Dave Douglas – Trompete (Tracks 2, 3, 8)
Releasedatum: 10. November 2023
Freude und Hoffnung in unruhigen Zeiten
Als sie begann, die Musik für ihr drittes Album als Bandleaderin zu konzipieren, suchte die Schlagzeugerin und Komponistin Mareike Wiening nach Anregungen in den turbulenten Ereignissen der letzten Jahre und entdeckte dabei eine Vielzahl möglicher Impulse. Natürlich gab es die globalen Umwälzungen, die wir alle mit angehaltenem Atem verfolgt haben: die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die politische Spaltung in den USA, Europa und darüber hinaus.
Aber auch lebensverändernde Erfahrungen, die sich näher an der Heimat abspielten, prägten Wienings Musik: Nach sechs Jahren in New York zog sie 2018 zurück in ihre deutsche Heimat und ließ sich in Köln nieder. Sie musste den Tod eines nahen Familienmitglieds verkraften nach langer Pflege und Krankheit. Zudem befindet sie sich in einem Lebensabschnitt, in dem der gesellschaftliche Druck, sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen, immer stärker wird. All dies geschieht vor dem Hintergrund einer ungewissen Zukunft für die Musikindustrie, während die Inflation in Deutschland in die Höhe schießt.
Wiening war sich bewusst, dass solch brisante Themen zu einem ausgesprochen nüchternen und düsteren Album führen könnten. Daher entschied sie sich eher der Wärme und dem Geist nach zu spüren, die sie immer schon mit der Musik verbanden. Auf Reveal, ihrem dritten Album für Greenleaf Music, hat Wiening ihre bisher reichhaltigste und persönlichste Musik geschaffen.
„Persönlich und als Musikerin war ich in den letzten Jahren in so vielen Situationen, in denen sich die Zukunft unsicher oder fraglich anfühlte“, sagt Wiening. „Ich wollte wirklich tief in mich hinein hören und die Freude und Hoffnung in der Musik wiederfinden.“
Reveal, das am 10. November 2023 erscheint, vereint Wiening mit ihrer langjährigen Band: Tenor-saxophonist Rich Perry, Pianist Glenn Zaleski, Gitarrist Alex Goodman und Bassist Johannes Felscher. Auf drei Stücken ist auch der geschätzte Trompeter und Greenleaf-Gründer Dave Douglas zu hören, der Wiening während ihrer gesamten Karriere tatkräftig unterstützt hat.
„Mareike hat sich zu einer echten Kraft in der Szene entwickelt, und ich fühle mich geehrt, dass ich zu diesem neuen Album Termin eingeladen wurde“, sagt Douglas. „Es war großartig, mit ihr und den anderen Bandmitgliedern zu spielen.“
Trotz ihres Umzugs nach Deutschland bleibt Wienings musikalisches Leben weiterhin auf New York City und insbesondere auf diese herausragende Gruppe von Musikern ausgerichtet. Das Quintett wurde 2014 gegründet, während die Schlagzeugerin ihren Master-Abschluss an der New York University machte, und ist in den darauffolgenden zehn Jahren zu einem wichtigen Bestandteil ihrer musikalischen Vorstellungskraft geworden.
„Dieses Quintett war von Anfang an meine Band“, betont Wiening. „Ich bin eigentlich keine Komponistin – ich bin Schlagzeugerin und komponiere nur für meine Band. Egal, welche Idee ich im Kopf habe, ich kann mich darauf verlassen, dass sie wissen, wie man sie musikalisch umsetzt. Ich kann ihnen vertrauen, was emotional sehr hilfreich ist. Sie sind wirklich zu meiner Familie geworden.“
Reveal, wie alle von Wienings Alben, verzichtet bewusst auf pyrotechnische Darbietungen am Schlagzeug, die oft als Klischee für Schlagzeuger gelten. Stattdessen ist sie eine nuancierte und subtile Musikerin, die die Musik mit der Finesse eines Bildhauers formt, wobei ihr Spiel und ihre Komposition untrennbar miteinander verbunden sind und die vertrauten Stimmen ihrer Bandkollegen zu einer Erweiterung ihres eigenen Denkprozesses werden.
„Wenn ich Musik schreibe, ist das Schlagzeug meist das Letzte, woran ich denke“, sagt sie. „Die Leute weisen manchmal darauf hin, dass es auf meinen Platten oder sogar in meinen Konzerten selten lange Schlagzeug-Soli gibt, aber ich habe das Gefühl, dass man bereits hören kann, was ich in den Stücken ausdrücken will, so dass ein Schlagzeugs-Solo in jedem Song überflüssig und zu viel wäre.“
Wiening steht von Zeit zu Zeit im Rampenlicht, wie in den psychedelischen Eröffnungsmomenten von „Time for Priorities“, wenn sie sich mit Goodmans backwards-mutated Gitarre verbindet. Überraschenderweise geht dies in einen lebendigen Latin-Groove über, der die Entschlossenheit widerspiegelt, aus dem Dunkel aufzusteigen, die das Album als Ganzes antreibt. Zaleskis üppige, nachhallenden Akkorde geben den Ton für „Old Beginning“ an, eine Ode an die Wiedergeburt, die die Frage aufwirft, wie das Leben weitergehen kann, wenn es ständig durch unkontrollierbare Ereignisse unterbrochen wird.
Wiening wechselt für „Encore“ zu den sanften Besen unter Felschers ausdrucksstarkem Solo, bevor der Song in eine hymnische Melodie ausbricht und sich für Perrys einfühlsames Solo wieder zurückzieht. Goodman und Zaleski tun sich für die rhythmisch vertrackte Intro von „Declaration of Truth“ zusammen, ein schwindelerregend kompliziertes Puzzle, das die Band brillant löst.
Das einzige Stück, das nicht von Wiening komponiert wurde, ist „Balada“, eine unerwartete Adaption eines klassischen Stücks des rumänischen Komponisten Ciprian Porumbescu aus dem 19. Jahrhundert. Emotional beeinflusst durch den Krieg in der Ukraine bat Wiening einen Freund, ihr osteuropäische Klassik und Volkslieder zu empfehlen. „Ich war fasziniert von deren Rhythmen und starken Melodien“, beschreibt sie. Ich entdeckte eine Menge großartiger Musik, von der ich vorher noch nie gehört hatte, aber diese Ballade stach heraus. Die Melodie blieb lange Zeit in meinem Kopf hängen, also begann ich, verschiedene Arrangements davon zu schreiben, bis sie die Form annahm, die sie hier hat.
Greenleaf und Douglas sind seit ihrem Debütalbum Metropolis Paradise (2019) ebenfalls Teil von Wienings Großfamilie. (Dan Tepfer sprang damals am Klavier ein, nachdem Zaleski vor der Session einen Fahrradunfall hatte.) Future Memories folgte 2021 auf demselben Imprint, diesmal mit dem vollständigen Quintett.
Douglas‘ Beteiligung machte ihn zum idealen Gast für die Band. „Ich war schon immer sehr von Daves produktiver und vielseitiger Musik inspiriert“, erklärt Wiening. „Während ich komponierte, suchte ich nach etwas Neuem, etwas, das ich entwickeln wollte, und mir wurde klar, dass ich eine weitere Stimme hinzufügen wollte. Da dachte ich sofort an Dave.“
Wiening macht bei den drei Auftritten von Douglas das Beste aus dieser Kombination. Sie schrieb „Choral Anthem“ mit den beiden im Hinterkopf und skizzierte die Komposition in einer reduzierteren Form als üblich, um der Frontline viel Raum zur Entfaltung zu lassen. Während des fesselnden Anfangs begleitet die Bandleaderin die anderen Musiker allein, und ihr Schlagzeugspiel nimmt eine eindringliche und atmosphärische Rolle ein.
Douglas kehrt mit seiner kraftvollen, swingenden Spielweise auf dem Titeltrack zurück, dessen Energie stark an die Jazz Messengers von Art Blakey erinnert, und auf dem zarten Schlusstrack „The Girl By the Window“, der von einem Gemälde des amerikanischen Impressionisten T.C. Steele inspiriert ist (und seinen sanft schimmernden Stil widerspiegelt).
Mareike Wiening studierte Jazz-Drums in Mannheim, Kopenhagen und New York City, lebte sechs Jahre lang in NYC und kehrte 2019 nach Deutschland zurück. Seit 2022 ist sie Dozentin für Jazz-Schlagzeug an der Musikhochschule Zürich und ist mit hochkarätigen Musikern weltweit aufgetreten.
TRACKS
1. Time for Priorities [7:17]
2. Choral Anthem [5:55]
3. Reveal [5:44]
4. Encore [6:08]
5. Declaration of Truth [8:03]
6. Balada [5:31]
7. Old Beginning [5:59}
8. The Girl by the Window [6:18]
Compositions and arrangements by Mareike Wiening (GEMA), except Balada (composed by Ciprian Porumbescu).
Executive Producer: Dave Douglas | Produced by Mareike Wiening
Recording dates: June 23rd and 24th, 2023 | Recorded at The Bunker Studio, Brooklyn, NY
Recording engineer: Aaron Nevezie | Mixing and Mastering engineer: Dave Darlington Gaphic designer: Frank Hoeger, Ratdesign
Facettenreich und fesselnd, bewegend und mitreißend, ist Reveal letztendlich genau das, was der Titel verspricht: eine Offenbarung.
Portraits von Mareike Wiening