Lakecia Benjamin bei der jazzopen Stuttgart 2024 im Jazzclub Bix

Lakecia Benjamin as
Oscar Perez p, key
Elias Bailey bs
E.J. Strickland dr

Lakecia, ein Sax-Hurricane

Jazzfans müssen bisweilen leidensfähig sein. Denn Klaustrophobiker hätten im Bix am diesem Samstag eine harte Zeit gehabt. Gesteckt voll der schwitzige Club, Lakecia Benjamins Ruf ist ihr offenbar weit vorausgeeilt. Warum auch nicht – ihre Kolaborationen mit u. a. Reggie Workman, Jazzmeia Horn, Regina Carter, Marcus Strickland, Ron Carter, Meshell Ndegeocello, Dee Dee Bridgewater und Greg Osby sprechen für sich. Das Gedrängel jedenfalls hat sich gelohnt. Selten gab es ein solches Temperament am Leonhardsplatz in Stuttgart zu sehen. Trane heisst der wilde, expressive Auftakt der Show, die Verehrung Benjamins für John Coltrane ist aus jedem Ton ihres Instruments zu hören. Nicht umsonst widmet sich die Saxofonistin in ihrem 2020 erschienen Album Pursuance: The Coltranes der Musik John und Alice Coltranes. Aber da steckt mehr in dieser Musik der New Yorkerin als die verbreiteten Tributes im Jazzgenre. Irgendwie scheinen sich die aktuellen gesellschaftlichen Ereignisse in den Staaten in Benjamins Musik widerzuspiegeln, so jedenfalls der Eindruck des Autors. Wut, Kraft, Verzweiflung, Zärtlichkeit, Liebe, Stolz: all das kann man heraushören, und vielleicht auch noch mehr. Ja, diese Musik kommt originär aus den USA, das spürt man, sie hat dort ihre Wurzeln und ist nicht zuletzt entstanden aus Selbstbehauptung, Trotz, Glaube, Widerstand der schwarzen Community. Die transgenerationale Weitergabe von Traumata mag auch hier greifen, weitergegeben wird aber in jedem Fall das musikalische Erbe von eben den Coltranes, Stevie Wonder, James Brown, Ray Charles, Miles Davis, von Motown und Blue Note; von den Jazzmusikern, die die Spielorte nur durch den Lieferanteneingang betreten durften. 

Eine fulminant aufspielende Combo

Aber zurück ins Bix. Was für eine fulminant aufspielende Combo! E.J. Strickland am Drumkit liefert unaufhörlich pulsierende Beats und ein packendes Solo, Bassist Elias Bailey spielt den Bass groovig und hart am Wind, Pianist Oscar Perez soliert am Piano ideenreich und packend über einem 5-taktigem Vamp, bisweilen wechselt er zum Keyboard. Beste Voraussetzungen für das facettenreiche und oft an die Grenzen gehende Spiel dieser so begabten Altistin. Die Musik dieses faszinierenden Quartetts hat durchaus etwas von der Stimmung der 60er des letzten Jahrhunderts – die Freude, das übersprudelnde und freie Spiel, die Ekstase und die schier endlose Energie und Dynamik, und – wer weiss – auch Zorn. Das Stück Amerikkan Skin beispielsweise mit seinen mitunter klagenden und suchenden Lines kündet davon, verweist aber auch auf bahnbrechende Aufnahmen aus der Zeit, kurz bevor der Jazz sich elektrifizierte.

Dass Benjamin über die Situation in ihrer Heimat reflektiert, davon zeugt auch ihre humoristische Moderation (If these elections go wrong, I will marry one of you!). Das Publikum hat die gänzlich in Gold gekleidete Musikerin aber auch ohne Heiratsabsichten im Sack. Dieser Auftritt hat einen starken, nachhaltigen Eindruck beim Autor hinterlassen. 

Wolfgang Fricke

Portraits von Lakecia Benjamin

Portraits von Enoch Jamal (E.J.) Strickland