Vincent Peirani Trio im Jazzclub BIX Stuttgart 2024
Vincent Peirani (acc, cla, keys, music box, glockenspiel, voc)
Federico Casagrande (git)
Ziv Ravitz (dr)
Stuttgart, 23.10.2024
Der barfüßige „Seelenschmeichler“ mit dem Akkordeon
Es gibt Konzerte, da was spürt man schon von der ersten Sekunde an, dass dieser Abend etwas ganz Besonderes werden kann. So auch an diesem Mittwochabend im ausverkauften Stuttgarter Jazzclub Bix. Schon als der fast zwei Meter große Hauptprotagonist des Abends barfuß den Weg über die Bühne zu seinem Instrument schreitet ist eine gewisse Magie spürbar. Der aus Nizza stammende und in Paris lebende Akkordeonist Vincent Peirani zählt inzwischen zu den Garanten für hochklassige musikalische Überraschungen. Mit elf Jahren begann er Akkordeon zu spielen, wandte sich aber in den nächsten Jahren der klassischen Klarinette zu, die er zunächst am Konservatorium in Nizza studierte. In seiner Jugend ereilten in zwei Schicksalsschläge. Sein Mutter starb an Krebs, ein Jahr später, mit 17 Jahren erkrankte er ebenfalls daran. In dieser Phase mit zahlreichen Krankenhausaufenthalten entdeckte er den Jazz für sich, und das hatte wohl eine heilende Wirkung auf ihn. In den darauffolgenden Jahren erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Preise, darunter der „Prix Django Reinhardt“ und mehrfach den Echo Jazz. Peirani, der seit zehn Jahren die Sprache des Akkordeons völlig erneuert hat, ist heute ein unverzichtbarer Künstler in der Welt der Musik. Er ist ein Musiker, mit kosmopolitischen und unkomplizierten, aber vielfältigen musikalische Visionen. Sein unglaubliches Gespür für Stilkreuzungen und Klangfarben erlauben es ihm, einen ganz besonderen seltenen und kostbaren musikalischen Zauber zu vermitteln.
Musikalisches Crossover der verschiedenen Nationen.
Ob in den Duos mit dem Pianisten Michael Wollny, oder mit dem Saxophonisten Emilie Parisien, Peirani ist ein Meister der Verquickung verschiedenster musikalischen Stilrichtungen. Ob Jazz, Rock oder Filmmusik, er ist jederzeit in der Lage einen zauberhaften, manchmal auch wahnwitzigen musikalischen Hybrid mit seinen Mitmusiker zu entwickeln. An diesem Abend stehen mit ihm der italienische Gitarrist Frederico Casagrande und der in New York lebende israelischer Drummer Ziv Ravitz auf der Bühne. Man spürt schon in den ersten Minuten, dass er hier zwei Brüder im Geiste gefunden hat, die sich auf die verwegene Soundreise von Peirani mit voller Lust und Freude mitbegeben. Das Zusammenspiel ist wie aus einem Guss, facettenreich und mit wechselseitigem Einfühlungsvermögen. Das Trio hat inzwischen eine Vielzahl an Konzerten absolviert, spielt aber trotzdem abseits jeglicher Routine frisch und unverbraucht. Immer wieder kramt Peirani in der Electronic-Trickkiste und verpasst den Stücken ein ganzbesonderes musikalisches Outfit, in das sich seine beiden Mitstreiter auf der Bühne bereitwillig hineinbegeben, ohne die eigene musikalische Individualität aufzugeben.
Von Marylin Manson zu Roberto Alagna
Das eine Akkordeon auch richtig „rocken“ beweist der Franzose, wenn er sich auf Stücke des Schockrockers Marylin Manson, oder auf Songs von den Nine Inch Nails, einer seiner Lieblingsbands einlässt. Hier wird Casagrandes Gitarre etwas brachialer und bricht aus dem schwebenden Electronicsound aus, untermauert wird das Konstrukt mit der eindrucksvoller Vehemenz des Israelis am Drumset. Es ist schon eine beachtenswerte breite Musikpalette die an diesem Abend dem Publikum im Bix geboten wird. Atmosphärische Collagen mit Glockenspiel, Rummelplatzklänge und quicklebendige lustbetonte freudige Musikkonstrukte gehen übergangslos in einander über. Auch der französiche-sizilianische Tenor Roberto Alagna kommt zu Ehren, in einer meditativen, sonnendurchflutenden Version des Schmachfestzens „Ninna Nanna“. Durch die Vielzahl der einfallsreichen Interpretationen bekannter Themen, folgt das Publikum dem Trio unentwegt und wird immer wieder mit neuen Soundcollagen überrascht. Die Interaktion ist die Basis für die besondere musikalische Reise, das Trio wandelte auf verschlungenen Pfaden, die erst im Augenblick des Zusammenspiels entstehen und sich dann immer wieder neu verzweigen. Man sieht und spürt wie die drei Musiker miteinander kommunizieren, sich achtsam gegenseitig zuhören, und das musikalische Ausgangsmaterial immer wieder zu neuem Leben erwecken.
Die musikalische Treibjagd und der Ton der Stille.
Als das Trio so langsam auf die Zielgerade einbiegt, entsteht eine regelrechte musikalische Treibjagd, bei der die drei noch einmal ihren ganzen Einfallsreichtum in die Waagschale werfen. Peirani steigert das Ganze in einem Solo mit aberwitzig schnellen Soundkapriolen, in dem das Akkordeon zu einem elektronisch aufgepeppten Orchester mutiert. Ein Steigerungslauf in den seine Mitstreiter bereitwillig und voller Freude einsteigen, in dem sie dem Publikum noch einmal ihre Einheit demonstrieren und zeigen das ein musikalisches Inferno, zwar laut aber auch unvergleichlich harmonisch sein kann. Entsprechend ist auch die enthusiastische Reaktion des Publikums am Ende des Konzertes. Peirani beweist bei der Zugabe sein Gespür für die Dramaturgie dieser musikalische Reise. Ein besseren Abschluss als die feinfühlige Version des Simon and Garfunkel Klassikers „Sound of Silence“ kann man sich kaum vorstellen. So wie an diesem Abend muss Musik funktionieren: Man weiß nie genau wohin es geht, es geschieht soviel Überraschendes und trotzdem freut man sich in jedem Augenblick als Begleiter dabei gewesen zu sein.
Harald Kümmel
Portraits von Vincent Peirani
Portraits von Federico Casagrande
Portraits von Ziv Ravitz