SWR NEWJazz Meeting 2021 im Sudhaus Tübingen

Sasha Berliner, Vibrafon, Kuratorin
Kalia Vandever, Posaune, Electronics
Matt Sewell, Gitarre
Max Gerl, Elektrobass, Kontrabass
Michael Shekwoaga Ode, Schlagzeug

Tübingen, 19.11.2021

Sasha Berliner & Tabula Rasa – Kollektiver Flow beim SWR New Jazz Meeting im Tübinger Sudhaus

Are you, am I? – eigentlich ist er programmatisch, der Titel des ersten Stückes der Vibrafonistin Sasha Berliner und der von ihr zusammengestellten Formation Tabula Rasa. Klar, dass sie als Kuratorin und Komponistin die Taktgeberin des Abends war, aber von Beginn an war zu spüren, jede/r bekommt hier den Raum, die Freiheit, die sie/er will oder braucht. Am Anfang pulsiert ein gleichzeitig verhaltener und trotzdem straighter groove, den Drummer Michael Ode als Basis vorlegt. Sasha Berliner setzt Akkorde und schwebende Klänge drüber, das Ganze gewinnt an Fahrt, und die Posaunistin Kalia Vendever hat eine wunderbare Basis für ein erstes langes Solo. Cut.

Das SWR New Jazz Meeting ist eine eigentlich einmalige Institution, inzwischen im 52. Jahr. Der SWR bietet Musiker*innen – in diesem Jahr der gerade mal 23 – jährigen Sasha Berliner aus San Francisco – die Möglichkeit, im Studio in Baden – Baden mit einer Wunschformation eine Woche lang was Neues, was Eigenes zu entwickeln, umzusetzen und zu proben; und es dann auf einer kleinen Tour auf die Bühne zu bringen. Und die Zusammenarbeit des SWR mit dem – immerhin vom Downbeat ausgezeichneten Tübinger Veranstalter Jazz im Prinz Karl hat auch schon eine lange Tradition.

Viel Freiheit und dichtes Zusammenspiel

Sasha Berliner hat nun nicht unbedingt eine (vordergründig – spektakuläre) Revolution des Jazz auf der Bühne des Tübinger Sudhaus zelebriert, ihr ist etwas anderes, vielleicht zeitgemäßeres gelungen: Zum einen schert sich Tabula Rasa wenig um die klassischen und gängigen Standard – Jazz – Rituale wie die Abfolge von Thema, solo usw. sondern vermittelt: Jedes Stück – alle Songs des Abends sind Kompositionen Sasha Berliners – läuft irgendwie eigen oder anders, entwickelt sich, geht ins nächste über, und trotzdem kommen alle irgendwann und irgendwo `dran`. Und zum anderen: Im Zentrum steht der gemeinsame Flow. Sasha Berliners Band hat wunderbar und wirklich zusammengespielt, und keine/r ist oder spielt den Star. Wird deutlich an Michael Ode hinter seiner Wahnwitzschleugzeugburg, die so rein optisch den absoluten Alpha – Anspruch markieren könnte. Aber was passiert in Sasha Berliners Tabula Rasa ? –  Einfühlsamstes Spiel von Ode auf Becken, Toms und Snare, Zuhören, Raum geben und schaffen für eine Band, die dann aber auch ihm, dem Schlagzeuger sein Spielfeld zur Verfügung stellt: Tempo und Intensität nehmen zu, und die Besucher*innen finden sich in der Mitte des Konzerts fast unerwartet und überraschenderweise in einem Schlagzeuggewitter wieder, das sich aus und in einer der Kompositionen Sasha Berliners entfaltet und dorthin auch wieder zurückkehrt.

Spotlightartig noch ein paar solcher Momente aus den knapp 90 Minuten im Sudhaus: Posaunistin Kalia Vendever mit ihren langen Melodiebögen, die an nordische Landschaften erinnern. Bassist Max Gerl, der auf Sasha Berliners schwebenden Vibrafon – Klangteppich über die Saiten tanzt oder Gitarrist Matt Sewell, der urplötzlich ganz alleine mit seiner Gitarre da steht und mit zunächst zarten vor allem aber warmen Tönen und Akkorden den großen Saal füllt.

Bandleaderin und Solistin

Unaufdringlich aber souverän und bestimmt führt Sasha Berliner ihre Band und das Publikum durch den Abend – und sie besticht auch als Solistin mit einer großen Bandbreite an Sounds und musikalischen Einflüssen. In San Francisco in einem musikalischen Elternhaus aufgewachsen hatte sie sich an einem Musik – College zuerst als Schlagzeugerin beworben. Seit 2016 lebt sie in New York. In der SWR2 – Sendung von Günther Huesmann (SWR Jazz – Redakteur und New Jazz – Leiter) erzählt sie, dass eine ganz prägende musikalische Erfahrung für sie das Album `one size fits all` von Frank Zappa war. Eines der Alben aus den 70ern, auf denen die Marimbaspielerin und Percussionistin Ruth Underwood ganz entscheidend den Sound von Zappas Band mitprägte. Und tatsächlich, bestätigt Sasha Berliner nach dem Konzert in Tübingen, war diese Ruth Underwood für sie eine ganz wichtige Musikerin, weil sie auf ihrem, dem Vibrafon verwandten Instrument ganz verschiedene musikalischen Welten zusammen und zum Klingen brachte.

Zugabe im Tübinger Sudhaus: Auf die Bühne kommt nicht mehr die ganze Band, Sasha Berliner spielt ein Solo. Gewidmet einem verstorbenen Freund aus Highschool – Tagen, Titel: Mallards and Seaturtles. Stockenten und Meeresschildkröten. Sasha Berliner alleine auf der Bühne. Sie und ihr Vibrafon. Schnelle minimalmusic-artige Sequenzen, drüber oder drunter entwickeln sich die Meldodien, die Musik fließt in gegenläufigen Geschwindigkeiten. Sasha Berliner, ernsthaft, konzentriert. Vollkommen bei sich.

Tom Hagenauer

Portraits von Sasha Berliner

Interview mit Sasha Berliner

Portraits von Kalia Vandever

Portraits von Matt Sewell

Portraits von Max Gerl

Portraits von Michael Ode

Unser Konzertbericht SWR NEWJazz Meeting 2018 im Sudhaus Tübingen