Gastbeitrag

Anouar Brahem Trio beim Esslinger Jazzfestival 2024

Anouar Brahem Quartet beim Jazzfestival Esslingen 2024
Anouar Brahem Quartet beim Jazzfestival Esslingen 2024

Anouar Brahem – oud
Klaus Gesing –
bass clarinet, soprano sax
Björn Meyer –
bass

Esslingen, 29.10.2024

Lyrischer Zauber trifft expressive Jazzraffinesse

Eigentlich war an diesem Abend in der St.Dyonis Kirche in Esslingen ein Quartett angesagt, aber die weltpolitischen Ereignisse sorgten dafür, dass aus vier drei wurden. Die libanesische Perkussionist Khaled Yassine konnte auf Grund der angespannten Lage in seinem Heimatland nicht ausreisen. So wurde das Ganze auf ein Trio eingedampft, was sich in der musikalischen Qualität des Abends kaum bemerkbar machte. Brahems langjährigen musikalischen Wegbegleiter Björn Meyer (Bass) und Klaus Gesing (Bassklarinette, Saxofon) transferierten trotz der neuen Situation ihre musikalische Spielfreude und Virtuosität in dieses komplexe Welt-Jazzmusik Gebilde. Mit 10 Jahren begann Anouar Brahem sein Musikstudium mit der Laute Oud am Konservatorium in Tunis. Der junge Tunesier spielte bereits mit 15 Jahren in lokalen Orchestern und machte dann, als logische Konsequenz mit 18 Jahren die Musik zu seinem Beruf. Im Laufe der folgenden Jahre erweiterte Brahem seinen musikalischen Horizont und integrierte indische und iranischen Elemente in seine Musik, bevor er sich immer mehr in Richtung Jazz orientierte. Er begann eigene Kompositionen zu schreiben und wie viele seiner musikalischen Kollegen führte sein Weg dann 1981 nach Paris, wo er vier Jahre blieb und viel für das tunesische Kino und Theater komponierte. 1985 kehrte er wieder in seine Heimat zurück und war in vielen verschiedenen Projekten involviert, die traditionelle afrikanisch-arabische Musik mit expressiven Jazzelementen verband. Diese bis dahin nahezu unbekannte Verbindung öffnete ihm das Tor zur großen Musikwelt und so wurde der Produzent Manfred Eicher auf einer Amerikatournee 1990 auf den Oudspieler aufmerksam. Im Laufe der nächsten Jahre entstanden in den ECM Studios zahlreiche Alben auf denen Brahem mit renommierten Musikern wie Jan Gabarek und Richard Galliano zusammenspielte. 2010 erhielt er den Echo Jazz in der Sparte sonstige Instrumente.

Anouar Brahem Quartet beim Jazzfestival Esslingen 2024
Anouar Brahem Quartet beim Jazzfestival Esslingen 2024

Sanfter Weltmusikklang und die Freiheit der Improvisation

Der lyrische und sanfte Klang der Oud eröffnet den spannungsreichen Abend. Das sonore Summen Brahems untermalt das Spiel der Laute in ein ganz besonderen Art und Weise und gibt dem ganzen einen magischen Touch. Seine Mitmusiker beobachten und lauschen dem Spiel des Tunesiers in den ersten Minuten voller Konzentration, bevor sich ihre Instrument achtsam dazu gesellen. Erst ordnen sie sich unter, bevor sie sich auf die solistischen Improvisationspfade begeben um sich immer wieder aufs Neue zu begegnen. Gesings Bassklarinette schwebt wie auf einer Wolke durch den Raum, getragen von dem weichen Bassspiel Björn Meyers und dem sparsamen Spiel der Oud. Die Musik des Trios ist kaum irgendwo einzuordnen, sie passt in keine Schublade und gerade das macht den Zauber aus, den diese Musik ausstrahlt. Man kann alle möglichen Definitionen finden, wie Weltmusik, oder Ethnojazz, aber eine Minute später löst sich die Definition wieder in Luft auf, was der ungewöhnlichen Freiheit des Ausdrucks, welche die drei Musiker sich respektvoll geben, geschuldet ist.

Anouar Brahem Quartet beim Jazzfestival Esslingen 2024
Anouar Brahem Quartet beim Jazzfestival Esslingen 2024

Tunesischer „Lautenhardrock“

Brahem sieht sich selbst weder als Jazz- oder Weltmusiker, wenn man seine Laute elektrisch verstärken würde, könnten viele seiner Solos auch im Bereich Hardrock oder gar Heavy Metal angesiedelt werden. Jeder  der Musiker nimmt sich immer wieder die Freiheit für wilde solistische Ausflüge, um sich doch dann wieder, nach gegebener Zeit, in die vornehm ausbalancierte Schönheit des Wohlklangs zu begeben. Stücke wie The Lovers of Beirut, Dances with Waves, Stopover at Djibouti oder Sur de Fleuve changieren wundersam zwischen ethnischen Einflüssen aus verschiedenen Himmelsrichtungen, zwischen Komponierten und freier Improvisation. Man spürt die Ausprägungen der verschiedenen musikalischen Spielkonstellationen mit französischen, arabischen, deutschen und skandinavischen Musikern. Brahem ist zwar tief in der arabischen Tradition verwurzelt, aber zu jedem Augenblick offen für die die benachbarten Welten und dies ist an diesem besonders Abend spürbar. Der Tunesier knüpft immer wieder neue Verbindungen zu einer elegant fusionierten Musik, die den Reichtum seiner angestammten Kultur, die formale Raffinesse der westlichen Kammermusik und die expressive Freiheit des modernen Jazz miteinander verbindet. Große, bewusst einfache Melodienbögen erzeugen nachvollziehbare formale Strukturen, die wiederrum viel Raum schaffen für das Talent und die schöpferischen Fähigkeiten eines Improvisators. Ein Konzertabend an dem sich eine lyrische Welt und ein breites Spektrum an Stimmungen mit völliger ästhetischer Konsequenz in der wunderbaren Stadtkirche ausbreitete. Wie so oft, ein besonderer Konzertabend in der Esslinger Stadtkirche.

Text und Fotos Harald Kümmel

Portraits von Anouar Brahem