Bohren und der Club of Gore im franzK. Reutlingen 2023
Christoph Clöser: Saxophones, Fender Rhodes, Piano, Vibraphone, Drums
Morten Gass: Organ, Mellotron, Piano, Moog, Guitar, Drums
Robin Rodenberg: Bass, Double Bass, Drums
Reutlingen, 17.5.2023
Leuchtendes Dunkel
Dieser Mittwoch war der erste Tag seit Längerem, in diesem verregneten Mai, der mit seinem klaren Abendhimmel und in warmes Licht getauchten Wölkchen Frühling verströmte. Im Franz K spielt an diesem Abend Bohren. Bohren & der Club of Gore aus Mühlheim/Ruhr. Im Saal ist es dunkel. Ganz dunkel. So dunkel, dass man sich eher vorsichtig tastend zu seinem Platz bewegt. Natürlich ist auch die Bühne dunkel. Nur ein paar Lämpchen glimmen, und das wird sich während der folgenden eineinhalb Stunden auch nicht wesentlich ändern. Allenfalls noch ein bisschen dunkler sind dann die drei Silhouetten, die sich ziemlich pünktlich um acht an drei Orte auf der Bühne – links – Mitte – rechts – verteilen, von denen aus sich jetzt keineswegs düstere, vielmehr wohlig wirkende dunkelschöne Töne, Klänge, Melodiefragmente in den Saal zu verteilen beginnen und ein erstes Stück formen.
Dunkel und schwerelos leicht
So wie sich die Augen langsam mit der Dunkelheit arrangieren und immer mehr erkennen, so nimmt nach und nach auch die Musik Gestalt an. Ein e – Steh – Bass links, ein bisschen Keyboard und Schlagwerk dazu, hier nimmt Robin Rodenberg Platz. in der Mitte sitzt Morten Gass an allerlei Tasteninstrumenten, nimmt immer mal wieder eine Gitarre zur Hand, hat ein, hat zwei Becken in seiner Nähe, die unaufdringlich und fein für ein langsam pulsierendes Grundmetrum sorgen. Und rechts steht im zarten, wechselweise violetten oder türkisen Lichtkegel Christoph Clöser und spielt Saxofon oder Vibrafon. Die Musik bewegt sich langsam aber zielgerichtet durch die Nacht. Es sind Saxofonlinien voller Sehnsucht, es sind Pianophrasen, aufgelöste Akkorde, die immer wieder zurückfinden zu einem grundlegendem Gesamtklang, der sich – trotz Dunkelheit & Tieftonlastigkeit – schwerelos leicht durch die Nacht bewegt.
Bohren & Der Club of Gore ist eine mittlerweile zum Trio geschrumpfte Formation, die ursprünglich als Metal Band begann und sich dann nach und nach einer Art Entschleunigung verschrieben hat. Dabei haben sie nicht unwesentlich stilbildend das Genre Dark Jazz geprägt und seit Mitte der 1990er – Jahre über 10 Alben veröffentlicht, das letzte ist das 2020 erschienene Patchouli Blue.` Patchouli ist ein Öl, das aus einem Lippenblütler gewonnen wird, um Insekten zu vertreiben. Und Blue ist Blau` sagt Christoph Göser, der sich ab und an mit einem trocken – lakonischen Humor ans Publikum wendet. Und jede*r hat für eine Millisekunde Patchouli Duft in Nase und Gedächtnis.
Alle haben Zeit und scheinen sie zu vergessen
Das Franz K ist voll, viele sind auch aus dem weiteren Umkreis angereist, kennen die Stücke, von denen man oberflächlich gehört sagen könnte, dass die meisten recht ähnlich klingen. Aber tatsächlich entfalten sich die Songs in ihrer Langsamkeit wie sich langsam öffnende Blüten. Es entwickeln sich dabei wunderbar warme Sounds und schier überwältigende Sehnsuchts – Saxofon – Linien. Alle haben Zeit, scheinen sie dabei aber zu vergessen. Musiker und Publikum.
Bohren und der Club of Gore machen keine Bühnenshow, ab und zu kreisen zu den Gitarren – und Vibrafon – Signalen und den Synthie & Rhodes – Sounds ein paar Lichtreflexe über die Bühne und verteilen sich in den Saal. Beifall. Viel Beifall. Und ganz im Bohren – Stil bedankt sich die Band mit dem Schluss Stück von Patchouli Blue. `Meine Welt ist schön` heißt es eigentlich, aber Christoph Göser benennt es um in ein Kompliment ans Publikum: `Eure Welt ist schön `, sagt er, und weiter: `unsere traditionelle Maskulinität verbietet uns, große Gefühle zu zeigen…` Und deshalb spielen sie noch zwei lange Stücke. Mit viel Gefühl. Natürlich ist es inzwischen auch draußen längst dunkel, aber Bohren und der Club of Gore bringen diese Nacht zu Leuchten.
Tom Hagenauer