Christoph Stiefel ‚Inner Language‘ Trio im C. Bechstein Centrum Tübingen 2022
Christoph Stiefel (p)
Lukas Traxel (b)
Tobias Backhaus (dr)
Tübingen, 20.5.2022
Offen, freundlich, tief
Es war die heißeste Augustnacht dieses Mai`s und die Luft stand zwischen den glänzenden Flügeln und Klavieren und den Sitzreihen des Bechstein Centrums. Die ersten, fast ein bisschen beiläufig in den Raum entlassenen Tonfolgen sind natürlich nicht beiläufig. Christoph Stiefel stimmt ein, sagt dem großen Bechstein Konzertflügel `Hallo`, und gibt dem Publikum zu erkennen: bitte einsteigen, eine Reise kann beginnen.
Mit dem Züricher Pianisten auf der Bühne sind Lukas Traxel am Bass und Tobias Backhaus am Schlagzeug, beide schon ein paar Jahre mit Stiefel`s Inner Language Trio unterwegs, eine Band, die der vielseitige Musiker vor fast 15 Jahren ins Leben gerufen hat.
Die ersten Töne und Klänge beginnen ein erstes Stück zu formen, aber so, dass gleich von Beginn an deutlich ist, da spielt nicht ein Pianist mit seinen Begleitmusikern, da erzählt ein miteinander verbundenes Ensemble in einer gemeinsamen musikalischen Sprache interessante und spannende Geschichten.
Eine Lichtung in die Wildnis schlagen
Übergang zum zweiten Stück: Bass, Schlagzeug und Piano mäandern in „Chutes and Ladders„, Titelstück der aktuellen CD. Die Band nimmt Fahrt auf, der Groove wird akzentuierter, Wechsel von verhaltenen und Power– Passagen, alles mit viel Freiraum für Schlagzeug und Bass. Einer der Höhepunkte des Konzerts: „Cut a Clearing in the Wilderness„. Ein Stück über das Stiefel nach dem Konzert sehr humorig erzählt, dass es dabei für sie als Band darum ging, sich einen Weg aus der eigenen Komposition „freizuschlagen„, also aus einer Art Dickicht ins offene Spiel zu gelangen. Und genau das gelang an diesem Abend. Spätestens ab jetzt war das Trio ein Organismus, alles pulsierte, auch bei den wunderbar aufeinanderfolgenden, ineinanderfließenden Solopassagen der jeweils anderen, alles ein Fluss.
Irgendwann zwischen zwei Stücken hätte Christoph Stiefel fast begonnen, seine Kompositionstechnik, die Isorhythmie zu erklären, eine uralte Form, die, so weiß es die Musikwissenschaft, in der Motette ihre hohe Zeit erlebte. Aber da die beiden Mitmusiker schon abwinkten und grinsten, meinte Stiefel lachend, er müsse das wohl aufgeben, dass das jemand verstehe, Hauptsache die Band spiele die Stücke.
Isorhythmie? – Hauptsache, die Band spielt die Stücke
Und die Band spielte. Spielte mit den unterschiedlichen Metren und den rhythmischen Verschiebungen, spielte manchmal rockig, manchmal klassisch, manchmal mit Druck, dann wieder zurückgenommen soweit, dass der Grundgroove fast nicht mehr zu hören, nur noch zu spüren war. Titel wie „A Great Place“, „Faith“, „Planetarium“ stehen für eine Musik, die Christoph Stiefel auf seinem Weg von der Andreas Vollenweider – Band über NuJazz oder Ausflügen in die Klassik entwickelt hat.
„Solstice„, eins von einer ganzen Reihe ganz neuer Stücke, die im Bechstein – Centrum erstmals live zu hören waren, nahm das Publikum zum Ende des Konzerts mit auf einen fast magischen Gipfelpunkt. Nochmal dieser faszinierende Wechsel von Komposition und Improvisation, von Energie, Spannung und dann der Auflösung in droneartige Sounds und Cluster.
Nach dem Konzert: Draußen dicke Regentropfen. Wetterleuchten am Himmel, warmer Wind, Entladung. Wunderbar.
Tom Hagenauer
Portraits von Christoph Stiefel
Portraits von Lukas Traxel
Portraits von Tobias Backhaus