Da spielt die Musik! Neues und Gutes aus Großbritannien!

Sons of Kemet bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2018
Sons of Kemet bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2018

Seit Jahren hört man aus GB nur das elende Brexit-Gefeilsche, schon lange hat man nichts Neues aus der britischen Musikszene gehört, schon gar kein neuen Jazz!. Jetzt aber hat sich eine junge, kreative brodelnde Szene gebildet. Angefangen hat es in verschiedenen Jazzclubs in London, in denen sich Musiker*innen trafen, alle mit allen spielten und sich in unterschiedlichen Gruppen zusammenfanden. Inzwischen spielen die daraus entstandenen Bands auf großen Festivals weltweit, wo die Konzerte der britischen Jazzer*innen wie Nubya Garcia oder dem Ezra Collective aus allen Nähten platzten. Gilt etwa der alte Satz aus der Punkzeit: „Wenn‘s England schlecht geht, entsteht gute Musik“?

Gilles Peterson, ein bekannter Radio DJ in GB hat seit den 1990ern mit seiner Sendung „Worldwide Radio“ bei der britischen BBC viel zu dieser Entwicklung beigetragen.  “Ich liebe es, junge Leute an Avantgarde-Jazz, Reggae, elektronische und experimentelle Musik heranzuführen und neue Verknüpfungen zu schaffen“, sagt er und bestätigt: „Musikalisch erlebt England gerade eine großartige Jazz-Renaissance vermischt mit allerlei verrückten Zutaten. Die Szene schwillt seit fünf Jahren immer weiter an. Die Plattenverkäufe gehen durch die Decke, die Euphorie ist greifbar.“ Das ist doch gut so!

Shabaka Hutchings

Sons of Kemet bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2018
Sons of Kemet bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2018; Shabaka Hutchings

Ein weiterer Förderer der Szene ist Gary Crosby, der mit den „Tomorrow Warriors“ eine musikalische Talentschmiede gründete, die sich hauptsächlich an junge schwarze und weibliche Musiker wendete. Einige der „Upcoming Stars“ der britischen Szene kommen aus dieser Ecke, wie z.B. Shabaka Hutchings, Nubya Garcia, Sheila Maurice-Grey….
Sie alle und noch viele mehr sind auf dem epochalen CD-Sampler „We out here“ vertreten, den Gilles Peterson 2018 auf seinem seit den Acid-Jazz Tagen bekannten Label „Brownswood““, veröffentlichte.

Was ist so neu an der neuen britischen Szene? Zum einen sind’s die Musiker*innen selbst, die alle sehr jung sind, einen Migrations-Hintergrund haben und auffällig viele Frauen sind darunter, die häufig Instrumentalistinnen sind! Soundmäßig ist ein umwerfendes Konglomerat aus Jazz,  Siebziger-Jahre-Funk, Acid-Jazz der neunziger Jahre, Hip Hop und Clubsounds der 2000er Jahre. Außerdem sind viele Einflüsse aus dem afrikanischen oder karibischen Hintergrund der Musiker*innen zu hören. Dem hyperaktiven Drive, der immer wieder überraschenden Musik, die mühelos Stil-Grenzen überwindet, kann man sich kaum entziehen.

Nubya Garcia

Nubya Garcia mit Band im Sudhaus Tübingen 2019
Nubya Garcia mit Band im Sudhaus Tübingen 2019

Die junge Saxofonistin und Komponistin Nubya Garcia ist eine der treibenden Kräfte hinter dem Revival der Londoner Jazzszene. Sie vermengt Jazz mit Afro-Groove, zuweilen Hip-Hop-Breaks und karibischen Klängen zu einem mitreißenden Sound. Sie hat mit ihrer kraftvollen Musik die neue britische Jazzszene maßgeblich mitprägt. Natürlich hat sie ihre eigene Band, die sich einfach Nubya Garcia nennt, sie spielt aber auch in einigen anderen Bands wie z.B. Maisha mit, was geradzu typisch ist für die eng vernetzte Londoner Szene. Der britische Guardian schrieb kürzlich, „sie stehe an der Speerspitze der ersten Generation, die post-amerikanischen Jazz machten.“

Sons of Kemet bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2018
Sons of Kemet bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2018; Shabaka Hutchings, Theon Cross

Die eigentliche Schlüsselfigur der Szene ist aber Shabaka Hutchings, der mit mehreren seiner Bands zu dem Star der neuen Londoner Jazzszene wurde. Seine interessanteste Band Sons of Kermet ist ganz ungewöhnlich mit 2 Schlagzeugern, ohne Bass aber mit dem Tubisten Theon Cross besetzt. Dadurch entsteht ein druckvoller, treibender Sound, der sich aus vor allem aus Drums & Bass, Reggae, Techno und viel Einflüssen aus  karibischen und afrikanischen Kulturen zusammensetzt. Der aus Barbados stammende Tenorsaxophonist ist eine Urgewalt, der den Begriff Jazz weit ausdehnt. Die vielfach ausgezeichnete CD der „Sons of Kemets„Your Queen is a Reptile“ ist auch eine politische Anspielung auf die alte, weiße, britische Gesellschaft, die die Queen verherrlicht. Dass die zusehends selbstbewusster werdenden schwarzen Einwanderer nichts damit anfangen können, zeigen auch die Titel auf der CD, wie z.B.“ My Queen is Angela Davis“. Auch die anderen neun Titel beziehen sich alle auf weibliche Heldinnen der schwarzen Frauenbewegung.  Die Sons of Kemet  setzen damit ein ganz starkes Signal für das neue Bewusstsein der britischen Immigranten.

Kokoroko

KOKOROKO bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2019
KOKOROKO bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2019

Die derzeit wohl erfolgreichste und auffälligste Band ist jedoch „Kokoroko“. Deren musikalische Basis ist der westafrikanische Pop der 1970er, sie beziehen sich auf Fela Kuti, einen der ersten afrikanischen Pop Stars. Sein Stil war schon damals eine wilde Mischung aus Jazz, Rumba, Funk und traditionellen Rhythmen. Kokoroko halten sich eng an diese Vorlage und schaffen doch Neues. Drums, Percussion, Bass und Gitarre spielen durchgängige polyrhythmische Patterns. Melodien und Solos spielt die mächtige Bläsersektion obendrüber – und die ist komplett weiblich besetzt.

Die Trompeterin und Bandchefin Sheila Maurice-Grey und die beiden anderen Bläserinnen der Frontline, Saxophonistin Cassie Kinoshi und Posaunistin Richie Seivwright, sind schlicht eine Wucht und es macht unglaublich Laune, diesen Ladys in ihren auffälligen afrikanischen Outfits zuzuhören. Gepuscht werden sie von einer starken Rhythmusgruppe um den Gitarristen Oscar Jerome. Ihr grandioser Song  „Abusey Junction“ ist auch der würdige Abschlusstitel des Samplers “We out here“.

KOKOROKO bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2019
KOKOROKO bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2019; Sheila Maurice-Grey, Richie Seivwright,

Allen Musiker*innen zusammen ist der Spaß, die Freude an der Musik anzuhören. Egal wer von den vielen Bands auftritt, ein Konzertbesuch lohnt sich – um auch mal wieder was Gutes aus dem Vereinten Königreich zu hören!

Helmut Hugo Burkhardt

Unser Konzertfotos von den 31. Internationale Theaterhaus Jazz Tage 2018 (2/6) u.a.mit Sons of Kemet

Unser Konzertbericht: KOKOROKO bei den Theaterhaus Jazztagen Stuttgart 2019

Unser Konzertbericht: Nubya Garcia im Sudhaus Tuebingen