David Six – DANCE WITH THE GHOST
David Six: Piano
Mario Rom: Trumpet
Beate Wiesinger: Bass
Lukas König: Drums
Veröffentlichung: 6.3.2023
Das neue Album von David Six & Dance With The Ghost Quartet
Der Pianist David Six und sein Quartett geben brennenden Zukunftsfragen auf unserem Planeten einen Resonanzraum in ihrer Musik. „Dance with the Ghosts“ heißt das programmatische Motto für eine Trilogie, dessen erster Teil nun auf einem Album in Quartettbesetzung vorliegt.
„Dance with the Ghosts“ steht für ein neues Verantwortungsbewusstsein (oder:) Verantwortungsgefühl im europäischen Jazz – und wirkt damit umso mehr als Appell für eine in diesen Zeiten dringend gebotene erneuerte Empfindsamkeit. Pianist (oder Komponist?) David Six hat sich für das erste Album mit den Musiker*innen Mario Rom (Trompete), Beate Wiesinger (Bass) und Lukas König (Schlagzeug) zusammengetan.
„Es ist mein Versuch, mittels der Sprache, die mir am nächsten liegt, einen gestaltenden Beitrag zu unserer politischen Wirklichkeit zu leisten“ formuliert David Six sein Anliegen. Die sieben Stücke auf diesem Album (plus zwei Bonustracks) suggerieren einen hohen Grad an Achtsamkeit dieser Musikerinnen und Musiker vor sozialen Fragen auch außerhalb ihrer eigenen Umgebung.
Friedlich, fast unschuldig gebärdet sich das Eröffnungsstück. Gereifte melodische Substanz verströmt das Klavierspiel von David Six. Subtile Finesse lebt bei den Harmonien und Klangfarben. Kontemplativ und nicht minder empfindsam wirkt das Kontrabass-Spiel von Beate Wiesinger. Auch Schlagzeuger Lukas König kommt mit seiner sensiblen Rhetorik aus Klängen und Strukturen oft ins Nachdenken. Die prägnanteste Stimme ist wohl der Trompeter Mario Rom mit seiner weichen und anschmiegsamen Phrasierungskunst, welche oft wie eine menschliche Stimme wirkt. Zum ergreifenden Klagegesang steigert sich dies im zweiten Stück des Albums: „Zarifa“ ist der afghanischen Kommunalpolitikerin Zarifa Ghafari gewidmet, die als jüngste Bürgermeisterin und eine der wenigen weiblichen Stadtoberhäupter in ihrem Land ein Hoffnungssignal verkörperte – bis sie nach der Machtübernahme durch die Taliban nach Deutschland fliehen musste.
Wie ein Cembalo klingt der erste Ton vom präparierten Klavier im Stück „Moria“, welches nach dem Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos benannt worden ist. Die Zeit steht still in dieser elegischen Ballade. Das dürfte sehr wohl auf die Zustände vieler Flüchtender im Nirgendwo zutreffen. Das Stück war übrigens die „musikalische Keimzelle“ dieses Projekts und hat in einer Duoversion mit einer arabischen Oud seinen Ursprung. Die Reaktionen darauf waren so euphorisch, dass David Six den Rahmen zu etwas Größerem ausweitete. „The Gloaming“ ist wohl das programmatischste Stück in diesem Programm. Gloaming heißt Dämmerung – eine plausible Metapher für einen schicksalsschweren Übergang der Menschheit angesichts unvorhersehbarer Folgen des Klimawandels.
„Dance with the Ghosts“ ist trotz seiner schweren Programmatik kein düsteres Album. Denn im melodiösen Jazz dieses Quartetts lebt ein Bekenntnis zur Hoffnung. Viele Ideen zu den Stücken gingen aus politischen Gesprächen zwischen David Six und seiner Lebenspartnerin hervor, wie er selbst bekundet. Als „Ankerpunkte für Empathie“ und als ein „Koordinatensystem für die Ohren“ definiert er sein Angebot an die Zuhörer dieser Musik, um an der Zähmung jener entfesselten „Geister“, die sich in unserer globalen Zivilisation selbständig gemacht haben, tatkräftig mitzuwirken.
Die analoge Aufnahmephilosophie der Tonmeister Christoph Burgstaller und Martin Siewert hat der Weichheit dieser musikalischen Kraft überaus gut getan. Auf den ersten Teil in klassischer Jazz-Formation folgt eine kammermusikalische Besetzung mit Violine, Violoncello, Klarinette, Trompete, präpariertem Klavier und Percussion. Der dritte Teil umfasst Kompositionen für Solistinnen und Solisten in Duo-Besetzung.
David Six wuchs mit österreichischer Volksmusik und klassischem Klavierspiel auf. Schon früh war klar, dass Improvisation eine wichtige Rolle in seiner Musik übernehmen würde. Hierfür zog es ihn nach dem Klavierstudium in Linz zur indischen Musik. Er studierte bei Manickam Yogeswaran in Berlin und später bei Pandit Shailendra Mishra in Neu Delhi, machte sich danach in zahllosen Projekten einen Namen, etwa durch Engagements beim internationalen Stargaze-Ensemble. Ebenso kooperierte er mit Bryce Dessner, Terry Riley und Bill Frisell.
Mario Rom ist einer der herausragenden Trompeter im jungen europäischen Jazz. Er studierte klassische Trompete an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz, danach unter anderem bei Ralph Alessi und Ellery Enkelin. Weiterhin arbeitete er mit internationalen Jazzgrößen wie David Liebman und Michael Mantler. Zusammen mit Lukas Kranzelbinder und Herbert Pirker gründete er im Jahr 2012 sein Trio Interzone, das regelmäßig weltweit auf Tournee geht.
Beate Wiesinger studierte in Wien, Linz und Göteborg. Die Bassistin und Komponistin ist das führende Mitglied der Bands echo boomer, Luchs und dem Duo 4675. Außerdem arbeitet sie als Sidewoman mit Mira Lu Kovacs, DAS Kammerer Orköster (DE, AUT), Christian Muthspiels Orjazztra und gründete mit der Tänzerin Christina Huber das interdisziplinäre Duo peterlefttheroom.
Lukas König punktet als Schlagzeuger und Komponist mit immenser künstlerischen Bandbreite zwischen Jazz, Neuer Musik, Elektronik und freier Improvisation. Nach einem Studium in Wien, Linz und Bern wurde er mit dem „Hans Koller Price- New York Scolarship„, dem Bremer Jazzpreis und 2014 mit dem Bawag P.S.K. Next Generation Award ausgezeichnet. Das Klangforum Wien brachte 2018 seine Komposition „Stereogram 1“ im Konzerthaus Wien zur Uraufführung. 2021 wurde er zum Künstler des Shape Network gewählt.
jazzreportagen.com: Sehr melodiöse Kompositionen, ruhig, aber doch eindringlich von hervorragenden Interpreten vorgetragen. Würden wir Sterne vergeben wären es 5 von 5!