Emma Rawicz im Jazzclub Bix Stuttgart
Emma Rawicz (sax)
Ivo Neame (p)
Conor Chaplin (b)
Asaf Sirkis (dr)
Emma und die musikalische Welt der Farben
Als die zierliche Emma Rawicz kurz nach halb neun die Bühne im ausverkauften Jazzclub Bix betritt, kann sich wahrscheinlich keiner der Zuschauer vorstellen, dass diese junge Dame, die so aussieht als hätte sie gerade den Collegeabschluss hinter sich, seit einiger Zeit die Londoner Jazzszene aufmischt. Sie gilt derzeit als eines der größten Jazztalente von der Insel und gewann 2022 den Parlamentary Jazz Award als „Newcomer“, zudem war sie auch Finalistin bei der BBC Young Musicans Competition. Emmas Interesse für Musik war schon früh vorhanden, bereits im Alter von 7 Jahren komponierte sie erste Songs für Klavier und Geige. Mit 15 Jahren begann sie mit dem Saxophonspiel und studierte dann an der Royal Academy of Music in London. In der Coronazeit postete sie auf Instagram ihre Übungssessions. Mittlerweile hat sie auf diesem Kanal an die 50000 Follower.
2022 produzierte ihr Debütalbum, dass von einem Kunstwerk namens Voodoo und seinen Farben inspiriert wurde. Auf einer 20-Städte Tour durch Großbritannien, stellte sie dieses Werk vor und hatte durchschlagenden Erfolg mit ihren Konzerten und erntete großes Lob bei den Musikkritikern. Sie wurde anschließend auf verschiedene Jazzfestivals eingeladen, war Headliner im berühmten Ronnie Scotts Jazz Club und gründete eine eigene Bigband.
Das „unangenehme Rosa“ entfacht das Saxophonfeuer
Rawicz hat eine Gabe, die sie mit Franz Liszt, Jean Sibelius, oder Jazzlegende Duke Ellington verbindet, sie sieht die Töne die sie spielt in Farben. Diese Gabe, die wissenschaftlich Synästhesie genannt wird hat ihr neues Album, das sie an diesem Abend vorstellt wesentlich beeinflusst. Bis auf eine Ausnahme sind alle Stücke in dieser Produktion nach Farbnuancen benannt. Ihre Mitstreiter Ivo Neame (Piano), Conor Chaplin (Bass) und Asaf Sirkis (Drums) sind ausnahmslos erfahrene Jazzmusiker, haben dieses Album mit eingespielt und fügen sich dem überbordenden Saxophonspiel von Rawicz oft unter, dürfen aber im Laufe der nächsten zwei Stunden durchaus auch brillieren. Nach einem verhaltenen sanftem Beginn (wahrscheinlich die Farbe Gelb), geht es in einem „unangenehmen Rosa,“ wie Rawicz die wilden Sounds bezeichnet, dezidiert anti-Barbie-mäßig weiter. Die wilde Melange aus Jazz und Rock breitet sich schlagartig über dem Publikum aus und sorgt bereits in der ersten viertel Stunde für begeisterten Applaus. Das Quartett liefert sich feurige Improvisationsduelle, die unter Hochdruck stehen. Es ist beeindruckend wie die 21-jährige das Geschehen auf der Bühne im Griff hat und mit welcher Vielfalt, auch gelegentlich mit der Bassklarinette, sie ihre Pinselstriche zieht.
Rawicz findet aber auch immer wieder den Weg zurück in die Ruhe, in die feineren Farbnuancen, in dem sie beispielsweise in dem Stück „Xanadu“ aus dem aktuelle Album „Chroma“, ihr zärtlich-spirituelles Spiel erklingen lässt. Die gleiche Melodie die hier so zart klingt, kann dann aber Minuten später virtuell grell, oder kühl stakkatohaft klingen. Wer an diesem Abend Mainstream-Jazz erwartet hat, wird enttäuscht, denn der Sound des Quartetts ist wild, unberechenbar, ausufernd und bietet viel Raum im ersten Teil des Konzerte für die Solis der vier Musiker. Vorwiegend für Ivo Neame der mit seinem Klavier zeitweilig zu verwachsen scheint und mit der Nasenspitze auf den Tasten klebt. Conor Chaplin am E- und Kontrabass wirkt dagegen etwas ruhiger, aber in seinem scheinbar unauffälligem Spiel technisch nicht weniger brillant.
Das Sonnenkind der Farben gibt sich die Zeit…
In der 20-minütigen Pause lässt es sich die Künstlerin nicht nehmen, an ihrem Merchandisingstand mit den Zuhörern über ihre Musik zu sprechen und nebenbei ihre Alben zu signieren. Freundlich lächelnd hat sie für jeden Zeit, der Fragen zu ihrer Musik hat. Minuten später steht sie wieder hochkonzentriert auf der Bühne und feuert Ihre musikalischen Salven ins Publikum. Der israelische Schlagzeuger Asaf Sirkis, der seit 2022 unter anderem Schlagzeuger bei Jazzrock Formation Soft Machine ist, rückt nun etwas mehr in den Vordergrund. Virtues bearbeitet er die Felle und Becken seines schlicht gehaltenen Drumsets und beeindruckt mit einem einfallsreichen mit leisen Tönen gespicktem Solo. Die musikalische Qualität von Part 2 des Abends übertrifft den ersten Teil, was kaum zu vermuten war, doch Emma Rawicz zeigt nochmal ihr ganzes Potential, dass in ihr steckt und teilweise wahrscheinlich noch gar nicht aufgedeckt ist. Wenn man diesen Abend erlebt hat, kann man dieser jungen Künstlerin wohl eine erfolgreiche Karriere prognostizieren und bei der Zugabe „Cowboys and Aliens“ tat sich vielleicht in so manch einem Zuhörer der Gedanke auf, dieses Saxophonspiel ist außerirdisch und wie von einem anderen Stern.
Ach ja, auch nach dem gut 2-stündigem Konzert hatte Rawicz noch die Zeit und Energie sich bis kurz vor Mitternacht mit den interessierten und begeisterten Zuhörern zu unterhalt. Nahbar, enthusiastisch im Austausch und überaus freundlich, selbst nach dieser hochintensiven musikalischen Darbietung. Man wird sie bestimmt in den nächsten Jahren auf großen Bühnen wiedertreffen, vielleicht sogar dann auf den Jazz Open in Stuttgart.
Harald Kümmel
Portraits von Emma Rawicz
Portraits von Asaf Sirkis