Florian Dohrmann ‚Blank Page‘ im Club Voltaire Tübingen 2024

Florian Dohrmann, b
Joachim Staudt, sax/bcl
Christoph Neuhaus, git
Lars Binder, dr

Tübingen, 13.11.2024

New Impressions of Debussy

Das Konzert beginnt mit „Twilight Dance“, so heißt der erste Titel. „Twilight Dance“ klingt nach beidem: Noch hell und schon dunkel. Farbenspiele, Abenddämmerung und Sonnenaufgang. Das Stück beginnt mit nicht allzu lauten, mit gleichzeitig weich und trotzdem deutlich angespielten E-Gitarrentönen. Dieses Intro grundiert Stimmung, Harmonie und Farbmischung der Musik. Dann – ebenfalls in warmem Grundton – das Thema auf der Bassklarinette und eine traumhafte Leadgitarre. Dazu pochende Toms, viel Hall und offene Räume. „Twilight Dance“ und die weiteren Titel sind nicht unbedingt Musik für den Samstagabendschwof, lädt eher ein, sich in schwebender Bewegung auf fein strukturierte Rhythmen und verheißungsvolle Klanglandschaften und überraschende Zwischen – Räume einzulassen.

Mehr als nur ein Konzert

In Florian Dohrmanns Quartett Blank Page hat sich der Tübinger Bassist in Musik und Zeit von Claude Debussy vertieft. Grundlage sind Themen und Motive des französischen Komponisten aber auch die Stilepoche des Impressionismus. Die meisten Stücke haben als Basis und Ausgangspunkt Debussy. Ein Künstler, der zeitlebens aneckte mit seiner Musik, sich nicht einordnen ließ, in die gängigen Schubladen. Auch die Musik von Florian Dohrmann kümmert sich eher wenig um Kategorien. Da sind die klassischen Themen des Impressionisten und der Romantik. Wer die Stücke in einem Jazz – Kontext hört, der findet zwar wenig amerikanische Einflüsse, dafür viele und unterschiedliche Anklänge an einen zeitgenössischen europäischen Jazz. Dohrmann und sein Quartett spielen eine sehr eigenständige Musik, verbindet ein hellwaches Ensemblespiel und gleichzeitig Raum für ausgedehnte solistische Ausflüge aller vier Mitspieler. Die „New Impressions on Debussy“ kommen, obwohl der Komponist selbst Pianist war, ohne Klavier aus. Die Besetzung: Elektrische Gitarre (Christoph Neuhaus) dazu Saxofon und der warme tiefe Sound einer Bassklarinette (Joachim Staudt): sie sind verwoben mit einer fein austarierten und lebendig pulsierenden Rhythmusgruppe (Florian Dohrmann, Bass; Lars Binder, Schlagzeug) Sie alle schöpfen aus einer Fülle von Klängen, Rhythmen, Melodielinien und improvisatorischen Einfällen.

Unaufdringlich, pointiert und angenehm dosiert gibt’s immer wieder zwischen den Stücken Informationen, in denen Florian Dohrmann über Debussy, seine Musik und sein Leben erzählt. Er lässt die literarischen Salons im Paris der Jahrhundertwende lebendig werden, erweitert den Konzertabend zu einem umfassenden Zeitgemälde, der neugierig macht über diese Epoche, in der sich der Einzug der Moderne mit der Weltausstellung 1899 traf, mit einer Sehnsucht nach Gefühl und Romantik. Wir erfahren, dass Debussy selbst äußerst scharfzüngig reagieren konnte, die Musikkritiker aber immer wieder seine eigenen Werke verrissen haben; und er wie er dann aber trotzdem Erfolg hatte, zum Beispiel mit seinem Werk „Nachmittag eines Fauns“.

Paris – Dakar – Tübingen

Florian Dohrmann und sein Quartett sind begnadete Klangmaler. In keiner Sekunde des Konzerts gibt’s so einen „Bemüht – Moment“, in dem der „Achtung hier ist das Debussy – Thema“- Zeigefinger aufscheint. Die Musik fließt, Sounds und Stilrichtungen vermischen sich. Das Konzert wird zu einer interessanten Klangreise, die Publikum diese vier großartige Instrumentalisten mitnimmt. Dabei ist das, was da auf der Bühne stattfindet, keine weichgezeichnete, pastellfarbene Hommage an Debussy. Immer wieder zieht Christoph Neuhaus den Groove an, ist jederzeit aufbruchbereit zu einem weiteren Solo, übergibt an Joachim Staudt am Saxofon, der über ein unendliches Reservoir an Melodien und improvisatorischen Figuren und blumige Soli verfügt. Die meisten Stücke hat Florian Dohrmann, einen kleineren Teil auch Joachim Staudt arrangiert und geschrieben. Und tatsächlich finden sich auf der Setlist auch die Original – Titel von Debussy wie „La fille aux cheveus de lin“, „Pagodes“ oder „Clair de la lune“. Melodien oder Motive sind in der Musik des Quartett Dohrmanns enthalten, sind aber zu einer „eigenständigen“ Musik geworden. Organisch, manchmal fast elegant entstehen ineinanderfließende Farben, Schattierungen, Aufhellungen und kräftige Linien. Wir blicken auf weite Horizonte dahintreibende Wolken und belebte Boulevards.

An diesem Abend im Club Voltaire hatte die Band eine wahre Sternstunde: Die Band spielt beherzter, deutlicher konturiert, schlicht kerniger und lebendiger als beispielsweise auf ihrem (dennoch zurecht hochgelobten) Album. Paris – Dakar (von Joachim Staudt) ist das letzte Stück des ersten Sets, ein Stück, das Debussys „Arabesque No 1“ aufnimmt und in einen zeitlosen und flow über- und weiterführt. Musik, die sich nicht um Grenzen schert und fließt und fließt…

Tom Hagenauer

Portraits von Florian Dohrmann

Portraits von Joachim Staudt

Portraits von Christoph Neuhaus

Portraits von Lars Binder