Hiromi’s Sonicwonder im Schlosshof Tübingen 2023
Hiromi – Piano, Keys
Adam O’Farrill – Trumpet
Hadrien Feraud – Electric Bass
Gene Coye – Drums
Tübingen, 21.7.2023
Silver Lining Suite
Was für eine Improvisation ihr wohl gerade durch den Kopf schießt? In diesem Moment, in dem sie um jede Note ringt, sich über die Tastatur krümmt? Die japanische Pianistin Hiromi Uehara hinterließ bei ihrem vom Verein „Jazz im Prinz Karl“ organisierten und mit gut 700 Besuchern ausverkauften Schlosshofkonzert ein zum Teil bass erstauntes Publikum. Nicht nur, weil es derzeit wohl keine Pianistin gibt, die ihr Instrument besser beherrscht als Hiromi, sondern auch, weil kaum jemand so vielseitig ist wie sie.
Mal mit freien pianistischen Mitteln, mal mit kraftvollen Ausbrüchen verschmilzt die 44-jährige Japanerin mit ihrer Band Sonicwonder die elektronischen Schroffheiten des Fusion mit der rhythmischen und übersprudelnden Formensprache des Jazz, unterstützt von Adam O’Farrill (Trompete), Hadrien Feraud (E-Bass) und Gene Coye (Schlagzeug). Eindrucksvoll auch die musikalische Hartnäckigkeit, mit der die zerbrechlich wirkende Künstlerin mit dem schwarzen Spitzenkleid und den pinken Schuhen die Töne zu langen Bögen formt. Sie ist der Kopf dieses Quartetts, die Frau, die die Stücke schreibt und ihre Band vom Klavier aus lenkt. Nicht selten verschränkt sie dabei in Höchstgeschwindigkeit und übergangslos vom Klavier zum Synthesizer und Keyboard wechselnd Vertraulichkeiten aus der elektronischen Fusion mit stringenten Jazzrhythmen.
Wie Fallbeile stürzen ihre zarten Finger auf die Tastatur
Wuchtig springt sie dann in die Tasten, ganz so, als wolle sie sich nicht auf die Wirkung ihres Anschlages und ihrer harmonischen Gestaltungskunst verlassen. Wie Fallbeile stürzen ihre zarten Finger auf die Tastatur und selbst bei ruhigeren Balladen füllt sie den Klangraum mit vollen Tonkaskaden. Aber nicht nur das Klavierspiel dieser Frau ist ein Ereignis. Auch die Art und Weise, wie sie ohne Worte mit ihren Mitspielern kommuniziert, wie sie sich gemeinsam mit Trompeter Adam O’Farrill immer mehr hineinbohrt in die Musik. Ihr ganzer Körper, ihr schief gelegter Kopf, ihre Mimik, ihre Hände wirken wie ein Seismograph, der jede Regung verzeichnet. Oder wenn sie sich im Stehen ins Klavierinnere beugt, avantgardistische Rhythmen auf Holz und Hohlkörper klopft und dann wieder ein paar frei laufende Akkorde drüber legt, während O’Farrill seiner Trompete ein Wechselbad aus Romantizismen und Robustheiten entlockt.
Die Intensität des Programms, das sich aus Kompositionen ihres aktuellen Albums „Silver Lining Suite“ und aus ein, zwei bekannten Stücken wie „Blackbird“ von den Beatles speist, wird erst ermöglicht durch das fulminante Spiel von Hiromi, die nicht umsonst unter Fachleuten als „Jimi Hendrix des Klaviers“ bezeichnet wird. Imposant auch, wie dicht und gelöst das Quartett insgesamt auftritt. Da wird weder mit pfeilschnellen Soli, noch mit dynamischen Improvisationen gespart. Ein höchst spannungsreicher, von intensivem Austausch bestimmter Diskurs zwischen vier exzellenten Musikern.
Dennoch ist es keine Gratwanderung, die dieses virtuose Energiewunder und ihre drei Mitmusiker unternehmen, weil nie die Gefahr des Abstürzens besteht. Vielmehr bestreiten Hiromi’s Sonicwonder einen fulminanten Parforceritt durch die pianistischen Felder am Rande jedes Mainstreams, der das am Ende stehend applaudierende Publikum nach einer weiteren Zugabe angeregt und aufgewühlt zugleich in die sommerliche Nacht entlässt.
Jürgen Spieß
Das weitere Programm von Jazz im Prinz Karl