Immanuel Wilkins Quartet im Sudhaus Tübingen 2025
Immanuel Wilkins, alto sax
Micah Thomas, piano
Rick Rosato, bass
Kweku Sumbry, drums
Tübingen, 17.1.2025
Essenz des Jazz & Cinemascope in Schwarz
Dass der Tübinger Veranstalter ‚Jazz im Prinz Karl‚ einen ausgesprochenen Riecher für innovative und ausgezeichnete Musiker*innen und Acts hat, bewies – wieder mal – das Konzert des Immanuel Wilkins Quartet im Tübinger Sudhaus. Kein Zufall, ist, dass eben im Januar 2025 das renommierte Jazzmagazin ‚Downbeat‚ in seinem internationalen Veranstalter – Ranking den Tübinger Verein ‚Prinz im Prinz Karl‚ nunmehr zum bereits sechsten Mal unter die sechs besten Deutschen Jazz -Veranstalter wählte. Und das exemplarisch genau mit diesem Konzert im Sudhaus.
Und das beginnt so: Nach knapper Ansage der Veranstalter bewegt sich der Vorhang, die Vier schlappten lässig und leicht angegroovt auf die Bühne, sagten ‚hello‘ und starteten mit einem ‚dreistufigen‘ Einstieg: Der Hauch eines Momentes des Sich – Sammelns reichte Pianist Micah Thomas, um sich dann in die Tasten zu versenken, und es braucht auch nur ganz wenige Töne und Klänge, dann sind Ruhe und Konzentration da, und alle, auf der Bühne und im Publikum sind bei sich und der Musik. Nach paar wuchtigen Trommelschlägen, auch wieder unvermittelt, startet das Quartett gemeinsam in das erste Stück. Es folgt wie eine Art ‚akustischer Vorhang – auf! – Moment‚, was jetzt auf dem Sudhaus-Bühne stattfindet: Breiter Sound, und präzises, stringentes Spiel. Das Quartett klingt gleichzeitig wie eine Bigband oder ein Orchester und ist trotzdem eine eng miteinander verbundene und kommunizierende Band. Im warmen Sound von Immanuel Wilkins‘ Altsaxofon scheinen sich Harmonien, Metren, Rhythmen und Skalen zu treffen, sich zu verbinden. Rund und markant der Bass. Rick Rosata ist zuständig für die tiefen Lagen, schafft unaufgeregt die Basis für den Grundpuls, lässt aber auch immer wieder seine Basslinien und Akzente deutlich hervortreten. Micah Thomas variiert in seinem Spiel wechselweise zwischen ‚klassischen‘ Jazzharmonien oder überraschenden, queren Einwürfen und Breaks. Und Kweku Sumbry an den Drums schwebt einmal zwischen, über oder jenseits der Welten, spielt im nächsten Moment präzise, genau auf den Punkt. Mittlerweile ist ein ziemlicher intensiver und ziemlich temporeicher Flow entstanden. Irgendwann nach einem ausgedehnten und inspirierten Bebop-angelehnten Solo, verzieht sich Immanuel Wilkins ins Halbdunkel des Bühnenhintergrunds, und überlässt das Geschehen seiner ‚Restband‘ ‚funktioniert‚ auch im Trio.
Hörfilm über die Geschichte der Black Music
Immanuel Wilkins ist eigentlich schon seit einer Weile kein ‚Geheimtipp‚ mir. Er gilt als einer der aufsteigenden Sterne einer jungen schwarzen Szene, die selbstbewusst, innovativ und tief mit der eigenen – Schwarzen – Geschichte verbunden ist, sie ergänzt, auch neu interpretiert. Wilkins stammt aus Philadelphia, hat dort in seiner Gemeinde erste musikalische Erfahrungen gesammelt. Der 27 – jährige lebt heute in Brooklyn, hat mit ganz unterschiedlichen Musikern und Formationen zusammengespielt. Jason Moran, E.J. Strickland oder das Count Basie Orchestra gehören dazu, ebenso Wynton Marsalis oder Bob Dylan. 2020 wurde sein Debut ‚Omega‘ von der New York Times als Jazz Album des Jahres ausgezeichnet. Auch die beiden folgenden Alben haben für Aufsehen gesorgt, 2024 wurde Wilkins der Deutschen Jazz Preis für den Live-Act des Jahres überreicht. Immanuel Wilkins ist auf der Suche nach den eigenen Wurzeln, taucht tief ein in die Geschichte seiner Musik. In seiner Musik finden sich Gospel, Bebop, Free Jazz und Swing, genauso wie Soul und Blues natürlich. ‚Blues Blood‘ lautet denn auch der Titel des aktuellen Albums des Quartetts. Dies sind aber keine Variationen bekannter Genres oder Schemen, entstanden ist eine eigene, originäre Musik, in der poetisch, spirituell, manchmal auch kraftvoll, auch wütend und eben durchdrungen von einem universellem Blues. Ein Hörfilm, der die Geschichte der Black Music erzählt. Es geht – soweit das ‚hier uns‘ überhaupt gelingen kann und soll, zu verstehen – um Aufbrüche und Abschiede, um Sklaverei, um Afrika, Amerika, um Black Power, Black Lives Matters und wie sich dieser ziemlich lange Blues heute und morgen anhören könnte.
Saxofon mit magischem Ton
Das Konzert des Immanuel Wilkins Quartetts ist keine Abfolge verschiedener Stücke, es ist eher eine zusammenhängende Suite. Der Höhepunkt, eigentlich des gesamten Konzerts, ist mit dem letzten Stück des ersten Sets erreicht. Die Band hat ihren teilweise furiosen Ritt durch die ersten Stücke langsam abgebremst, ist bei einer Art Zäsur angekommen. Pianist Micah Thomas wendet sich mit fein modulierten Melodielinien und schwebenden Klängen der Hammond Orgel zu. Langsam rotiert die Leslie – Box. Der glühende Hammond Sound unwillkürlich Gospel und Soul. Jetzt beginnt Wilkins beginnt seine Melodie, eine langsame, gefühlvolle Ballade, mit seinem magischen Ton. Sein Saxofon führt tief nach innen und gleichzeitig in große weite Traumlandschaften. Konzentriert und eng miteinander verbunden sind jetzt die vier Musiker. Geschlossene Augen, manchmal. Gefühlte Ewigkeiten und trotzdem viel zu kurz ist dieses Stück. Innigkeit und Gemeinsamkeit liegt in dieser Musik. Musik in der sich die Essenz des Jazz von Immanuel Wilkins zu spüren ist.
Obwohl also der Höhepunkt des Konzerts schon am Ende des ersten Sets erreicht war, ging´s trotzdem auch nach der Pause ziemlich hörenswert weiter. Zu erleben war eine wunderbar freigespielte und entspannte Band. Sie wanderte unangestrengt und gleichzeitig tiefschürfend durch Jahrzehnte der Jazzgeschichte, nahm auch die näheren und entfernteren musikalischen Vorfahren und Verwandten mit auf ihre Grenzen überschreitende Reise. Das war alles aus einem Guss, war gemeinschaftliche Musik und geprägt von tiefem Verstehen der vier Mitspieler. Das Konzert von Immanuel Wilkins und seinem Quartett, das war eternal Groove, Innigkeit konzentrierte Lässigkeit. In dieser Musik glüht und leuchtet und pulsiert der Blues und der Jazz.
Tom Hagenauer
Portraits von Immanuel Wilkins
Portraits von Micah Thomas
Portraits von Rick Rosato
Portraits von Kweku Sumbry