Interview mit Heinz von Hermann
Interview mit Heinz von Hermann nach dem Konzert mit dem Joe Haider Sextet
Sehen Sie auch so schwarz für den Jazz wie Joe Haider???
Ich sehe die Zukunft des Jazz nicht so schwarz wie Joe, aber dennoch äußerst kritisch. Es hat ja noch nie so viele gut ausgebildete junge Jazzmusiker gegeben wie heute, nur die Auftrittsmöglichkeiten werden immer weniger und die entscheidenden Personen, wer wann wo auftreten darf sind auch immer inkompetenter. Die Ausbildung ist ja bestenfalls nur die eine Hälfte auf dem Weg zum Jazzmusiker, die andere weit wichtigere ist doch sich etwas zu erspielen, einen Bezug auch zum Publikum sich erarbeiten. Ich habe ja z.B. in den Endfünziger Jahren in den Boheme gespielt, da ging es von 8 h abends bis 4 h früh. Aber wir hatten einen 12-Monatsvertrag! In den Konkurrenzbetrieben wie Tangente, Tabu u. ä. war es auch nicht anders. Wir mussten uns ein entsprechendes Repertoire schaffen schon um uns selbst nicht zu langweilen, von Publikum ganz zu schweigen. Das Alles gibts ja heute nicht mehr. Wenn die jungen Leute heutzutage schon einmal einen Gig haben, dann dauert der vielleicht 3 Stunden und das Repertoire der betreffenden Musiker ist dementsprechend recht überschaubar.
Aber dennoch: es gibt auch unter den jungen Musikern immer noch welche, die die richtige Einstellung haben und an sich arbeiten und die einem doch Hoffnung machen. Die Pyramide ist halt recht flach geworden, auf einen guten kommen viel mehr schwache. So wie ich es sehe: Trotz der Bevölkerungsexplosion auf unserem Planeten hat sich die Anzahl der Genies nicht im gleichen Maße erhöht. Dennoch: Jazz war eigentlich immer schon ein Minderheitenprogramm und hatte seinen Anteil an der Torte des gesamten Freizeitvergnügens. Nur wird auch bei gleich bleibender Größe diese Minderheit der prozentuale Anteil an diesem Kuchen immer kleiner, einfach weil der Kuchen immer größer wird. Alle halben Jahre wird eine neue Sportart erfunden, neue Videospiele, Kreuzfahrten und ich weiß nicht was noch alles auf den Markt geworfen wird und das alles vergrössert ja nur den Kuchen des Freizeitangebots.
Welche Jazztitel sollte ein junger Musiker auf jedenfall studiert haben?
Welche Titel sollte man studieren: Am besten alle :-)) Diese Frage sollte man auch im historischen Kontext betrachten: Bis zum 2. Weltkrieg war – in den USA jedenfalls – Jazz und Popmusik praktisch identisch oder zumindest sehr nahe angesiedelt. Auch bis nach dem Krieg gab es ja unglaublich viele reine Instrumentaltitel die es bis an die Spitze der Hitparaden geschafft hatten, heute undenkbar. Ein Hit ohne Gesang? So war neben Blues und Rhythm&Blues eigentlich das sogenannte „Great American Songbook“ die Standardausrüstung jedes Jazzmusikers. Die Diversifikation zwischen Jazz und Pop begann eigentlich in der Bebop-Aera und verstärkte sich dann mit dem Aufkommen des Rock & Roll. Jazz wurde immer elitärer und die Popmusik begab sich in ihrem musikalischen Niveau auf einen Sturzflug nach unten. Für einen angehenden Jazzmusiker gibt es nur die Devise: Alle Musik hören und das so viel wie möglich. Und spielen soviel wie möglich.
Übrigens mache ich ja gelegentlich an verschiedenen Hochschulen und Konservatorien Workshops zu diesem Thema, es nennt sich „Standard Time“ und behandelt das Verhältnis zwischen dem „Great American Songbook“ und Jazz. Zu diesen Workshops habe ich auch ein Begleitheft verfasst, da es sich um ein so umfangreiches Thema handelt, dass, wenn ich das alles erzählen würde, keine Zeit mehr für die Musik bliebe. Doch: Dieses Thema ist nur ein Teilaspekt des Jazzrepertoires.
Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen und dem Jazz weiterhin alles Gute!
Das Interview mit Heinz von Hermann führte Rainer Ortag
Portraits von Heinz von Hermann
Unser Konzertbericht: Joe Haider Sextet, Jazzkeller Esslingen im Komma 2020
Hier die Informationen von Heinz von Hermanns Standard Times: