Interview mit John Beasley
Interview mit John Beasley im SWR-Studio von Cosmo Scharmer
This interview in original English
Zunächst einmal möchten wir Ihnen zu Ihren Nominierungen für den Grammy gratulieren. Sind diese Nominierungen noch etwas Besonderes oder ist die Nominierung für Sie schon zur Selbstverständlichkeit geworden?
Ich freue mich sehr über die Anerkennung meiner neuen Grammy-Nominierungen. Es ist immer etwas ganz Besonderes, weil die Entscheider -Musiker, Produzenten, Techniker und andere – aus der Branche sind. Wenn sie also für dich stimmen, dann ist das das höchste Kompliment – es ist kein allgemeiner Publikumspreis oder ein Popularitätspreis.
Er basiert auf Verdiensten. In der Jazz-Kategorie gibt es mehr Einreichungen als in allen anderen Kategorien, ob Sie es glauben oder nicht, mehr als im Hip-Hop, mehr als im Rock. Wenn man also in einer dieser Kategorien unter die ersten fünf kommt, fühlt es sich an, als hätte man die Spitze eines riesigen Berges erklommen. Meine Nominierungen waren für verschiedene Projekte: mein Big-Band-Album, das Arrangieren eines Instrumental-Songs, das Arrangieren eines portugiesischen Vokalalbums und das Dirigieren der HR (Hessischer Rundfunk) Big Band mit der ruandisch-ugandisch-afrikanischen Sängerin Somi, die alle Songs mit afrikanischen Einflüssen geschrieben hat.
1 (Best Large Jazz Ensemble Album “MONK’estra Plays John Beasley” — John Beasley)
2 (Best Arrangement, Instrumental or A Cappella “Donna Lee” — John Beasley, arranger (John Beasley)
3 (Best Arrangement, Instruments and Vocals “Asas Fechadas” — John Beasley & Maria Mendes, arrangers (Maria Mendes Featuring John Beasley & Orkest Metropole)
4 (Best Jazz Vocal Album “Holy Room: Live at Alte Oper” — Somi with John Beasley (conductor) for Frankfurt Radio Big Band
Es ist auch umwerfend, von Musikern nominiert zu sein, die man so sehr bewundert und schätzt.
Kommen wir zur Musik, dem aktuellen Projekt mit der SWR Big Band. Neben den eigenen Monk’stra haben Sie mit vielen Big Bands gespielt, sie geleitet. Neben der renommierten SWR Big Band gibt es in Deutschland auch andere Big Bands, die einen sehr guten Ruf haben, wie die des NDR oder WDR oder des HR. Warum gerade das SWR Orchester, was war der Grund?
Magnus Lindgren hat mit der SWR Big Band gearbeitet, und als Magnus und ich dieses „Bird“-Projekt zum hundertsten Geburtstag von Charlie Parker (August 2020) erträumten, meinte er, wir sollten es mit dem SWR Orchester realisieren.
Die Idee war, gemeinsam zu arrangieren und zu dirigieren, während wir uns selbst als Instrumentalisten mitwirken. Wir wollten Birds Musik und sein Vermächtnis lebendig halten. Wir wollten neue Generationen an Bird heranführen, aber wir wollten auch, dass Bird-Fans die Musik auf eine frische neue Art und Weise hören, indem wir sie neu interpretieren. Wir hatten die Idee, einen Videokünstler auf die Bühne zu holen. Unsere Agenten begannen, das Projekt bei Veranstaltern und Unterstützern vorzustellen. Wir hatten das riesiges Glück, dass große Konzerthallen in den USA, Schweden und Deutschland von dem Projekt begeistert waren und es buchten, noch bevor die Musik überhaupt begonnen hatte. Magnus Lindgren war um Weihnachten 2019 in Los Angeles. Wir begannen über die Auswahl der Songs zu sprechen, was uns dazu bewog, ein Charlie Parker-Album mit Streichern zu konzipieren. Wir sollten aus verschiedenen Gründen Streicher hinzufügen, so dachten wir.
Als wir anfingen, gemeinsam an den Songs zu schreiben, stellten wir fest, dass es ungewöhnlich ist, dass zwei Arrangeure auf diese Art und Weise arbeiten – am selben Song aus der Ferne zu schreiben: Lindgren in Stockholm und ich in Los Angeles. Mit neuer Musik- und Notationssoftware kann man gemeinsam an einer Partitur arbeiten. Wir fingen beide an, ein paar verschiedene Songs zu arrangieren, dann mailten wir uns gegenseitig, was wir geschrieben hatten. Und dann wechselten dazu über, die Partituren des jeweils anderen zu ergänzen – und so ging es bei jedem Stück hin und her. Es war wirklich eine sehr interessante Art zu arbeiten.
Ja. Es ist sehr aufschlußreich, dass es möglich ist, dies zu tun. Das hat eine lange Geschichte, wie das Projekt jetzt realisiert wird.
Der Zeitplan sah vor, das Schreiben bis Ende April abzuschließen, weil wir im Juni mit der SWR Big Band und den Streichern aufnehmen wollten. Dann sollte die Weltpremiere einen Tag vor Birds hundertstem Geburtstag am 29. August in der Hollywood Bowl stattfinden, einem historischen Ort für Freiluft-Konzerte in Los Angeles mit einer Kapazität für 17.500 Menschen. Die nächsten Konzerte waren in Schweden und Deutschland geplant, dann zurück in die USA. Aber COVID-19 verhinderte die Konzerte, machte so viele Pläne und Leben aller zunichte.
Aber im Juni war der künstlerische Leiter des SWR, Hans-Peter Zachary, in der Lage, eine Probe mit der Big Band und einer Streichergruppe in ihrem großen Studioraum zu organisieren. Dabei waren alle räumlich getrennt. Magnus am Bildschirm in Stockholm und ich in Los Angeles (vier Uhr morgens) beobachteten und leiteten die Probe das Orchesters. Wir waren davon so beeindruckt, wie die Technologie uns das ermöglichte. Als Nächstes mussten wir abwarten und sehen, ob wir uns im Juli persönlich treffen können. Das wurde auf August verschoben, aber es konnte nichtstattfinden. Im Oktober gab es dann Hoffnung, und hier sind wir nun in Stuttgart. Wir probten drei Tage lang und seit zwei Wochen nehmen wir auf. Das mit allen Herausforderungen, die Aufnahmen während einer Pandemie mit sich bringen.
Außerdem sind Aufnahmen mit der hr-Bigband (Hessicher Rundfunk) geplant. Welche Art von Musik wollen Sie dort einspielen?
Als ich meine ersten beiden Bigband-Alben, MONK’estra Vol. 1 und Vol. 2, veröffentlichte, hatte ich das Glück, eingeladen zu werden, um diese Songs der hr-Bigband zu bringen und ihre swingende Band zu dirigieren. Der Chefdirigent der HR Bigband, Jim McNeely, ist fantastisch. Nach meinem MONK’estra-Konzert lud McNeely mich ein, die HR-Band – zusammen mit der Sängerin Somi – zu dirigieren, deren Live-Album für einen Grammy nominiert ist. Dann bat mich McNeely, für das Duke-Ellington-Projekt von Somi im April 2020 zu schreiben, was ich wegen Covid-19 online machen musste. Ich kann es kaum glauben, dass ich 2021 (wenn Covid es zulässt) zurück sein werde, um weitere Konzerte mit der Band zu geben.
Diesmal mit Titeln aus Chick Coreas „Return to Forever“, und mit Themen von Duke und Thelonious Monk aus meinen neuesten MONK’estra-Album.
Du hast mit so vielen großartigen Bands und Orchestern gearbeitet. Du kennst also jeden von ihnen?
Mit der WDR Big Band habe ich noch nicht gearbeitet. Das ist mein neuer Traum, mein Moon Shot.
Gibt es einen Unterschied, abgesehen davon, dass man die eigenen Musiker besser kennt, ob man mit dem eigenen Orchester arbeitet oder eine „fremde“ Big Band leitet?
Das ist eine sehr gute Frage. Bei meiner eigenen Band kenne ich den Sound meiner Musiker wie meine Handschrift, also schreibe ich tatsächlich für sie. Die Band ist sehr stark. Wir haben seit 2013 nur wenige Wechsel. Seit sieben Jahren haben wir viele Konzerte gegeben, also schreibe ich für sie. Das Schreiben für Big Bands hat eine lange Tradition. Duke hat immer für seine Musiker geschrieben. Das Gleiche gilt für Stan Kenton. Aber ja, da gibt es einen Unterschied. Glücklicherweise kannte Magnus Lindgren die SWR-Musiker gut, so dass er mir Insider-Informationen über jeden einzelnen geben konnte, über ihren charakteristischen Sound, ihre Spielweise oder Nuancen. Mit Kenntnis dieser Details schrieb ich. Jetzt, da ich mit den Musikern der HR Big Band in einigen Projekten zusammen gearbeitet habe, glaube ich sie zu kennen und kann für ihr Flair schreiben.
Siehst Du einen Unterschied zwischen den Big Bands in den Staaten und denen hier in Deutschland?
Wir befinden uns heute mit dem Jazz in einer neuen Situation. Seit der Geburt des Bebop, als die Amerikaner die Musik nach Europa, in die Welt, exportiert haben, sind mehrere Generationen vergangen. Heute gibt es viele Jazzschulen in jedem Land, während es vor 50 Jahren noch keine gab. Also, jetzt gibt es hier unglaubliche Musiker, unglaubliche Jazzmusiker überall in der Welt.
Wissen Sie, als Sonny Rollins in den 60er Jahren nach Deutschland kam, spielte er mit den besten deutschen Jazzmusikern der damaligen Zeit. Sie wurden dann bei uns vorgestellt, zu einer Zeit als das ECM-Label startete. Dann haben wir angefangen, mehr von europäischen Musikern zu hören. Jetzt ist Jazz eine universelle Musik.
Ja, es ist eine globale Musik, die überall zu finden ist.
Ich bin der musikalische Leiter des International Jazz Day. Wir reisen jedes Jahr in ein anderes Land und treten mit 30 und mehr All-Star-Musikern auf, die jeden Winkel der Welt repräsentieren. Wir haben schon in Frankreich, Istanbul, Osaka, Melbourne, Havanna, St. Petersburg und im Weißen Haus gespielt. Ich stelle die Ensembles zusammen. Manchmal sprechen einige der Musiker nicht die gleiche Sprache, aber sie können ohne Barrieren Musik machen.
Die Arrangements hier in Stuttgart werden natürlich von dir gemacht. Auch alle Kompositionen? Oder gibt es auch einige der hervorragenden Standards, die von Klassikern wie Monk, Miles oder Duke stammen?
Die ganze Musik, die wir hier mit der SWR Big Band aufnehmen, ist von Charlie Parker: neu gedacht, neu interpretiert von Magnus Lindgren und mir. Wir zelebrieren sein Genie, sein Vermächtnis, seine erstaunliche Kreativität.
Wir haben vorhin in der Probe „Donna Lee“ gehört. Welche Titel können wir noch finden?
Wir haben „Koko“, „Confirmation“, „Laura“, „Summertime“, „I Remember April“, ein Mash-up von „Scrapple from the Apple“ und „Aleucha“ aufgenommen; und eine Ouvertüre mit vielen kleinen Ausschnitten aus Bird-Songs.
Die aktuelle Pandemie macht Live-Konzerte unmöglich und erschwert auch CD-Aufnahmen im Studio. Es herrschen völlig neue Bedingungen. Wie lösen Sie diese schwierigen Herausforderungen ganz konkret?
Ja, wenn man Konzerte spielt, sind die Musiker nahe beieinander, „ernähren“ sich musikalisch voneinander und auch vom Publikum. Jazz ist eine Call-and-Response-Musik. Man hört jedem Musiker aufmerksam zu, während er spielt. Dann greift greift man auf, was er „sagt“, und antwortet improvisatorisch. Kein Konzert gleicht dem anderen, weil man jeden Abend etwas anderes mit seinem Instrument ausdrückt. Und wir reagieren auch aufs Publikum, so dass die Konzerte jeden Abend anders sind.
Bei einer Aufnahme ist es genauso. Wir sind uns nahe und inspirieren uns gegenseitig. Aber bei Covid mussten wir die Musiker-Sektionen aufteilen und in verschiedenen Räumen unterbringen. Oder wir mussten die Sektionen tageweise separat aufnehmen: einen Tag die, die andere Sektion am anderen Tag. So arbeite ich auch, wenn ich Filmmusik aufnehme. Wir haben das ganze Orchester dabei, aber wir arbeiten an einem Stück, einer Passage, dann brechen wir ab. Wir hören zu, dann machen wir weiter, um die Holzbläser aufzunehmen, dann hören wir wieder zu. Dann die Blechbläser, zuhören, dann die Rhythmusgruppe.
Aber es scheint schwierig zu sein. Die Leute spielen getrennt. Sie hören Musik nur mit ihrem Kopfhören. Und es ist wohl eine Herausforderung, so eine Aufnahme zu machen?
Nicht wirklich. Musiker haben seit den Mehrspuraufnahmen in den 60er Jahren mit Overdubs aufgenommen – die Beatles, alle CTI-Platten mit dem berühmten Arrangeur Don Sebeski, der mit Freddie Hubbard, Hubert Laws gearbeitet hat. Denken Sie an Stevie Wonder, der jedes Instrument spielte. Er spielte eines, dann wurde es overdubbed, also zusammengemischt.
Wir probten 3 Tage mit der SWR-Bigband, wobei alle weit auseinander saßen. Das gab uns die Möglichkeit, die Musik als Gruppe zu fühlen, aber als wir sie aufnahmen, entschieden wir uns, die Musik in einzelne Sektionen und verschiedene Tage aufzuteilen, um sicher zu gehen. Durch das Overdubbing hat es funktioniert. Man hört immer noch auf die anderen Teile, egal ob sie vorher oder zur gleichen Zeit gemacht wurden, man hört immer noch auf das, was passiert und reagiert. Also, eigentlich ist es nicht viel anders, als wenn wir alle zusammen spielen würden.
Aber es ist bestimmt eine interessante Art, eine Jazz-Platte zu machen. Es wäre sicher schön, unter Ihrer Leitung diese Aufnahmen im Konzert zu erleben. Ist das überhaupt planbar?
Die Pandemie wütet immer noch in Europa und in den USA steigen die Infektionen und Todesfälle immer noch mit schockierenden Zahlen. Wir alle warten auf den Impfstoff als Ausweg aus dieser Pandemie. Wir sind fast ein Jahr in der Warteschleife. Um 7 Milliarden Menschen auf der Welt zu impfen, wird es fast das ganze Jahr 2021 dauern. Ich denke, dass die Konzerte auf Ende 2021 verschoben werden. Wir haben Platzhaltertermine im November 2021. Wir sehen uns dort!
Und, lasst uns hoffen auf eine Wiederholung der Roaring 20s (Wilden Zwanziger) und das nächste Jazz Age ab 2022. Nach fast 2 Jahren Abschottung (lockdown) werden die Leute wie verrückt feiern wollen. Also lasst uns auf mehr Musik und viele Konzerte hoffen. Das ist es, was ich hoffe.
Ja, das hoffen wir auch. Zurück zur HR-Bigband und den geplanten Aufnahmen. Gibt es einen Unterschied zu den jetzigen Aufnahmen und Musikern bei der SWR Bigband?
Klar, jede Band hat eine andere Persönlichkeit. Die hr-Bigband ist eine fest arbeitende Band, die regelmäßig probt und auftritt. Das ist ihr Job. Sie sind eine wirklich kreative, etwas kantige, manchmal zur Avantgarde neigende Band, die ein breites Repertoire von Coltrane bis Eric Dolphy auswählt. Ihr Dirigent Jim McNeelly ist ein wirklich swingender Arrangeur und Komponist.
Die SWR Big Band kommt für eine Reihe von Auftritten zusammen. Einige der Musiker sind freiberuflich tätig und kommen aus verschiedenen Städten und sogar aus anderen Ländern. Sie bringen einzigartige Erfahrungen mit, weil sie in vielen Bands mit unterschiedlichen Musikern für eine Vielzahl von Auftritten spielen. Wenn sie also für Aufnahmen oder Konzerte zusammenkommen, freuen sie sich darauf, wieder zusammenzukommen, und geben dem Ganzen einen Hauch von Elan, von Gusto, von Aufregung, wieder zusammen zu sein.
Vielen Dank für dieses ausführliche Interview, John.
Es war mir ein Vergnügen.
Das Gespräch führte Cosmo Scharmer (jazz-fun.de)
Den ersten Teil des Interview von Cosmo Scharmer mit John Beasley finden Sie auf jazz-fun.de
Ein Interview mit John Beasley über sein Album „MONK’estra Plays John Beasley“ finden Sie hier auf jazz-fun.de
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