Joachim Kühn & Archie Shepp

Königssaal im Schloss Heidelberg am 15.10.2019

Joachim Kühn, piano
Archie Shepp, saxophon

Ein Duo, das Maßstäbe setzt

Eine der wenigen Gelegenheiten, Archie Shepp in Europa zu sehen und zu hören, ist das jährlich stattfindende „Enjoy Jazz in der Rhein-Neckar-Region, die wohl einen guten Draht zu diesem Musiker hat. Und wenn solch eine Jazz-Legende dann mit 82 Jahren auf einer Bühne in erreichbarer Nähe auftritt, dann darf man das nicht verpassen. Wenn der Duopartner dann Joachim Kühn ist, dann wäre das ja schon allein ein Grund, sich über verstopfte Autobahnen nach Heidelberg zu quälen.

Die beiden zu erleben – das war sicherlich für viele ein Hauptgrund für das Kommen. Spannend war natürlich die Frage, wie sich das doch sehr beachtliche Alter der beiden Musiker bemerkbar machen würde. Und schon beim ersten Stück war klar, dass von Müdigkeit oder Altersheim rein gar nichts zu bemerken war, sondern dass 157 Jahre Lebenserfahrung und unzählbar viele Stunden des Musizierens zu traumwandlerischer Sicherheit und zu einem tiefen musikalischem Verständnis führen, das man als Außenstehender lediglich erahnen kann.

Ein grandioses Duo

Zu keiner Zeit war Joachim Kühn der Begleitmusiker für Archie Shepp, sondern zwei innovative und spielfreudige Musiker trafen sich auf höchstem Niveau zu einem grandiosen Duo. Selten hat man Kühn an einem Abend so viele Standards spielen hören, aber er tat es auf eine furiose Weise, die jedes Stück zu einem Feuerwerk machte. Als gutes Beispiel dient das Ornette Coleman Stück „Lonely Woman“, bei dem Kühn in rascher Folge eine Vielzahl von emotionalen Facetten dieser Frau beschrieb, wie sie keine Worte zu fassen vermögen. Und wenn dann Archie Shepp einsetzte, dann kamen nochmals ganz andere Seiten dieser Persönlichkeit zum Vorschein.

Archie Shepp, dessen ganzes Gesicht in Bewegung ist beim Spielen, der das Mundstück mit den Lippen beinahe zu kneten scheint, nutzt dabei virtuos die ganze Palette von den tiefsten Tönen seines Tenors, mal grollend, mal gehaucht, bis hinauf in die höchsten überblasenen Höhen. Es gibt unzählige hervorragende Saxophonisten, und trotzdem ist von den ersten Tönen an klar, wer da vorne spielt: ein vollkommen eigenständiger Sound, kraftvoll und sensibel, filigran und zerbrechlich, mit ungeheuer viel Luft gespielt, oftmals fast heiser, kein anderer klingt so wie Archie Shepp. Vielleicht liegt ja ein Teil seines Erfolges darin, dass er als einer der großen Avantgarde-Musiker doch immer weniger abstrakt bleibt als viele andere, deutlich lyrischer ohne sentimental zu werden und dadurch dem Hörer zugänglicher.

So bot der Abend im Heidelberger Schloss ein Duo, das Maßstäbe setzt und ein musikalisches Erlebnis, das in Erinnerung bleibt, das man dereinst den Enkeln berichten kann und das man in voller Länge eins zu eins als Aufnahme pressen könnte – es ergäbe eine grandiose Platte.

Markus Minberg

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