Johannes Enders Quartett im Pappelgarten Reutlingen 2025
Johannes Enders, Saxophon
Oliver Kent, Piano
Josh Ginsburg, Bass
Gene Calderazzo, Drums
Reutlingen, 26.2.2025
Standard Questions
Musikalisch ist in Weilheim mächtig der Bär los. Nicht nur die Acher-Brüder von The Notwist und das Tied & Tickled Trio sind hier zu Hause, auch der Tenorsaxofonist Johannes Enders kommt aus dem oberbayerischen Provinzstädtchen. Wie man Elektronik und Jazz kongenial miteinander verbindet, ist wohl in keiner anderen deutschen Stadt auf so eindrucksvolle Weise experimentiert und verwirklicht worden.
Das Tied & Tickled Trio ist so entstanden und auch Johannes Enders arbeitete sich in den letzten 35 Jahren an ähnlichen Schnittstellen ab. Im gut besuchten Pappelgarten ist nun wieder einmal zu hören, auf welch hohem Niveau Enders inzwischen angekommen ist. Dabei lässt er mit seinem Quartett aus Saxofon, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug das Chillige und Elektronische weit hinter sich. Vielmehr sucht er das, was man in Jazzkreisen mit Formeln wie smooth oder balladesk zu fassen versucht. Im Pappelgarten stellt er sein neues Projekt „Standard Questions“ vor, das sich auf Standards aus dem Great American Songbook bezieht, die sich im Titel mit drängenden Fragen der Menschheit beschäftigen.
Souveränität und Schnörkellosigkeit
„What am I here for?“ (Duke Ellington), „How high the moon?“ (Ella Fitzgerald) oder „What are you doing the rest of your life“ (Barbra Streisand) heißen die Titel, bei denen Enders und seine Mitspieler Oliver Kent (Piano), Josh Ginsburg (Bass) und Gene Calderazzo (Schlagzeug) das Verinnerlichen des kreativen Potenzials eines Songs stets in den Vordergrund stellen. Dabei besticht das Quartett nicht nur durch Souveränität und Schnörkellosigkeit, sondern durch ausgefeilte und gleichwohl harmonische Improvisationen. Der Wiener Pianist Oliver Kent ist mit geschickt getimten Piano-Einsätzen, Ausformungen und Soli zur Stelle, der aus New York stammende Josh Ginsburg überzeugt mit trockenen Bassfiguren und sein Landsmann Gene Calderazzo mit akzentuiertem Trommeleinsatz. Vor allem aber die ausgedehnten Soli des Bandleaders Johannes Enders belohnt das Publikum mit heftigem Zwischenapplaus. Der handwerkliche, physische Charakter der Musik, das Atmen und das sorgfältige Gestalten sind bei Enders stets zu spüren.
Den Besuchern gefällt die Mischung aus verfremdeten Versionen von melodischen Standards und Eigenkompositionen immer besser. Obwohl natürlich auch der 57-jährige Saxofonist keine Antworten auf drängende Fragen wie „How long has this been going on?“ oder „Why“ („Warum gibt es so viele Idioten, die die Welt regieren?“) hat.
Jürgen Spieß
Portraits von Johannes Enders
Portraits von Oliver Kent