Lynne Arriale Trio im Pappelgarten Reutlingen 2018
Lynne Arriale, piano
Jasper Somsen, bass
E.J. Strickland, drums
Reutlingen, 30.9.2018
Jazz zum Luftanhalten
Das Lynne Arriale Trio überzeugt mit verträumten Jazzperlen im Pappelgarten
Viele bezeichnen sie inzwischen als das weibliche Pendant zu Keith Jarret. Beim Auftritt im voll besetzten Pappelgarten bewies Pianistin Lynne Arriale zusammen mit ihren beiden Mitspielern, weshalb solcher Art Vorschusslorbeeren keineswegs zu hoch gegriffen sind.
Das dachte sich wohl auch Veranstalter Tobias Festl, der die drei Jazzer zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren nach Reutlingen gelotst hatte. Locker, lässig und gleichzeitig virtuos, nicht überperfekt und akademisch, sondern extrem spielfreudig gingen Lynne Arriale (Piano), Jasper Somsen (Bass) und E.J. Strickland (Schlagzeug) zu Werke. Die Stimmung war von Beginn an bestens, das Gespielte auf allerhöchstem Niveau. Eindrucksvoll demonstrierten die Musiker wie eingängig und fesselnd ein Konzert im Modernjazz-Bereich sein kann. Manche der Stücke erinnerten unüberhörbar an Bill Evans, an kleine Jazz-Suites, in der ein Thema langsam aufgebaut wird, um dann in einem kurzen Übergang in das nächste überführt zu werden. Ein höchst spannungsreicher, von filigraner Klangschönheit und intensivem Austausch bestimmter Diskurs zwischen drei exzellenten Musikern.
Vor allem nach der Pause spielte sich das Trio in einen wahren Rausch: Lynne Arriale, die erst im Alter von 25 von der Klassik zum Jazz konvertierte, suchte nun hörbar nach neuen Möglichkeiten der Kombination von Komposition und Improvisation, von strukturiertem und freitonalem Zusammenspiel. Bebop und Swing, Bluesreminiszenzen und lange lyrische Passagen flossen zu einem aufregenden Stil zusammen. „Seven Stops to Heaven“ von Miles Davis hieß eines der durchweg sehr komplexen Stücke, in dem Arriale und ihre Mitmusiker ein rhythmisch verzahntes Thema mit allen Kniffen in die Mangel nahmen und die verschiedensten Stilsplitter zu einer ganz eigenen, so virtuosen wie eingängigen Musik verschmelzten.
Von Bebop bis Modernjazz wurde alles ausgekostet
Das klang mal herb und sperrig, mal balladesk verwoben, und dann wieder so impulsiv, witzig und verschmitzt, als dürfe Kermit aus der Muppet-Show mitkomponieren. Beeindruckend auch, wie dicht und packend das Trio nun insgesamt auftrat. Da wurde weder mit beeindruckenden Soli, noch mit spritzigen Improvisationen gespart. Die Stationen des Jazz von Bebop bis Modernjazz wurden einerseits voll ausgekostet, andererseits überzeugten die Drei mit unter die Haut gehenden Standards. Cole Porters „I love you“, Paul McCartneys „Blackbird“ oder „Let it be“ von den Beatles hat man zwar schon oft gehört, aber selten so betörend wie hier.
Die Leichtigkeit, mit der der erfahrene E.J. Strickland die Trommelstöcke benutzte, konnte Bassist Jasper Somsen mühelos auf seine Basssaiten übertragen. Mit leichter Hand, wie aus dem Ärmel geschüttelt, agierten die drei Musiker und überzeugten mit einem brillanten Feuerwerk von vielfach gegenläufigen Rhythmuslinien und wunderschönen Jazzballaden. Insgesamt war es ein verträumtes und gleichzeitig berauschendes Konzert: Verträumt deshalb, weil die Amerikaner in geradezu meditativen Tönen schwelgten. Berauscht die Zuschauer von einem poetischen und gleichzeitig innovativen Auftritt, der durch dicht-vertrackte Grooves zusammengehalten wurde.
Viele saßen während des Auftritts mit geschlossenen Augen da, einhellig spendeten sie am Ende rauschenden Beifall. Das Lynne Arriale Trio zelebrierte über zwei Stunden lang Jazz zum Luftanhalten, bei dem zu keiner Sekunde Langeweile aufkam.
Jürgen Spieß
Portraits von Lynne Arriale
Portraits von Jasper Somsen
Portraits von E.J. Strickland