Markus Harm und das Unison Soul Quintett im Club Voltaire Tübingen 2022
Markus Harm (as)
Andrey Lobanov (tp)
Alexey Podymkin (p)
Jens Loh (b)
Dominik Raab (dr)
Tübingen, 23.2.2022
Wenn Jazz die Welt regierte…
Markus Harm & das deutsch – russische Unison Soul Quintett im Club Voltaire
Die Trompete zerschneidet die Luft, das Saxofon schreit, Bass und Schlagzeug pulsieren. Und das Piano erschafft unentwegt neue Melodien und Spannungsbögen und treibt die Band in immer höhere Klangregionen.
Es geht nicht, über dieses Konzert zu schreiben, ohne die Eilmeldung von ca. 22.00 Uhr zu erwähnen, in der klar wird: Putin wird die Ukraine angreifen (was er dann ja auch tatsächlich in genau dieser Nacht tut). Und rückblickend verleiht das diesem Abend eine weit tiefere Dimension. Zu spüren, vom ersten Ton: Eine unbedingte Intensität, tief empfundene Freude am gemeinsamen Spiel, ein schier unerschöpflich wirkender Ideenreichtum dieses deutsch – russischen Quintetts, das an diesem Abend noch darauf hoffte, im März auf die geplante ausgedehnte Russland Tour zu gehen.
Das Auftaktstück: Eine energiegeladene Verbeugung vor Horace Silver, ein fast fröhlich anmutendes `shouting out` – gleichzeitig ist dieser Opener auch Basis für alle Bandmitglieder, ihre gleichzeitig klar, scharf und präzise gespielten und trotzdem höchst gefühlvollen Soloausflüge zu starten. Im zweiten Stück treiben wir auf dem Kutschbock über eine winterliche Steppe – ein russisches Volkslied ist die Grundlage dieses mit schwermütiger Leichtigkeit dahinschaukelnden Songs. Und der Trompeter Andrey Lobanov sagt: „Wir spielen es fröhlich, aber eigentlich ist es traurig“. Aber an diesem Abend erscheint sowieso alles in einem besonderen Licht.
Schwermütige Leichtigkeit
Es bedarf einer besonderen Würdigung dieser drei Musiker, also des Moskauer Pianisten Alexey Podymkim, der zusammen mit dem Trompeter Andrey Lobanov und dem Saxofonisten Markus Harm (beide mit homebase Nürnberg) dieses grenz- und genreübergreifende Projekt auf die Beine gestellt hat. Das zeigt in diesen hochdramatischen Zeiten genau das, lässt miterleben, um was es eigentlich und vor allem wie es anders ginge: Stücke von Sonny Rollins und Horace Silver treffen sich in `Moskauer Nächten`, und wer genau zuhört, der erkannt auch noch DAS deutsche Abendlied, `Der Mond ist aufgegangen`. Alles wird zu einer Musik, ist ein Song. Musik und vielleicht im Besonderen Jazz ist eine universelle Sprache, ist Kommunikation, ist Gemeinsamkeit, weiß um die Grenzen, will und kann diese aber spielerisch, mit Neugier und Freude überwinden.
Bilder, Worte und Töne dieses Abends: Pianist Alexey Podymkin – er hat es nur auf den letzten Drücker mit Umweg über Budapest rechtzeitig nach Tübingen geschafft – schichtet rasende, clusterartige Pianoakkorde übereinander, `To McCoy`, heißt die dem jüngst verstorbenen Pianisten McCoy Tyner gewidmete Komposition. Das Quintett klingt wie eine Bigband, ist ein dröhnender Zug, der durch die Nacht fliegt. Jens Loh am Bass und Dominik Raab sind keine Rhythmusmaschine sondern eine gleichzeitig verlässliche und dynamische Basis, sind auch selbst höchstlebendige Solisten. Der Pianist – immer wieder übersetzt von Trompeter Lobanov – deutet dezent und feinsinnig aber für jeden verständlich an, in welcher besonderen Situation die Band spielt, auch was es für ihn bedeutet, an diesem Abend hier zu spielen, zu spüren, wie man sich versteht.
Jazz als universelle Sprache
Mit geschlossenen Augen steht Markus Harm, der Saxofonist mit Tübinger Wurzeln neben dem Trompeter Andrey Lobanov in wohligen Soundschauern. Beide kennen sich auch aus ihrer Tätigkeit an der Nürnberger Hochschule. Amerikanischer Jazz, russische Volksmusik oder Gassenhauer wie `Moskauer Nächte` – das Unison Soul Quintett verschmilzt alles zu einer hochenergetischen Einheit, nimmt das Publikum mit auf eine wunderbare Reise und zeigt damit das genaue Gegenprogramm zum Horror des Krieges, der genau zur gleichen Zeit beginnt, Europa in den Grundfesten zu erschüttern.
Nachklapp, zehn Tage nach dem Konzert: nach zwei weiteren Konzerten in Süddeutschland konnte der Hauptteil der Tournee durch Russland nicht mehr stattfinden. Alexey Podymkim hat es immerhin zurück Russland geschafft. Markus Harm ist immer wieder mit ihm in Kontakt. Die Hoffnung auf weitere gemeinsame Konzerte ist lebendig.
Nachklapp 2: Der Auftritt des Unison Soul Quintetts, ist eines von drei Konzerten in jüngster Vergangenheit, in denen der Tübinger Jazzclub Musik*innen aus Russland und der Ukraine eingeladen hatte. Im vergangenen Herbst war die ukrainische Sängerin Tamara Lukasheva mit Ihrem Quartett zu Gast, im Februar spielte das Swetlana Marinchenko Trio im Bechstein Zentrum. Die Pianistin lebt seit Jahren in Deutschland, hat aber russisch – ukrainische Wurzeln. In allen drei Konzerten war zu spüren, wie intensiv Menschen und Kulturen verbunden sein können.
Tom Hagenauer
Portraits von Markus Harm
Portraits von Alexey Podymkin
Portraits von Andrey Lobanov
Portraits von Jens Loh
Portraits von Dominik Raab