Nils Petter Molvaer und Superterz im Sudhaus Tübingen 2023

Nils Petter Molvaer, trumpet
Marcel Vaid, guitar
Ravi Vaid, electronic
Koho Mori-Newton, DIY
Tom Verbruggen aka Toktek
Oliver Schmid, drums

Tübingen, 26.1.2023

Wintergewitter und Töne aus Seide

Der Lärm aus dem Zimmer eine Etage unter ihm – das erzählt Koho Mori-Newton einem Zeitungskollegen – sei so störend gewesen, dass er zunächst auf den Boden gestampft habe, dann runter gegangen sei. Dort sei er – damals vor vielen Jahren – auf die Brüder Ravi und Marcel Vaid gestoßen, zwei Musiker mit deutsch-indischen Wurzeln und bis heute das Herz von Superterz, eine Formation, die sich – manchmal recht lauter – improvisierter Musik verschrieben hat. Superterz tritt in wechselnden Besetzungen auf, bewegt sich auf einem weiten, manchmal unübersichtlichen Terrain, auf dem sich NuJazz, Noise, Avantgarde, Free Jazz, Rock oder Ambient begegnen (können). Superterz legt Wert darauf, keine Songs zu haben und zu spielen, bei Auftritten auch immer anders und immer wieder neu und einmalig zu klingen. Nach Tübingen sind sie gekommen, weil der aus Japan stammende Koho Mori-Newton, der trotz seiner anfänglich leicht dissonanten Begegnung regelmäßig mit Superterz auftritt, hier Ende Januar/Anfang Februar gleich mit zwei Ausstellungen als bildender Künstler (Zeichnungen und Seidenmalerei) zu erleben ist. Komplettiert wurde dieses klangliche Rahmenprogramm durch den Teilnahme des norwegischen Trompeters Nils Petter Molvaer, einem der Pioniere grenzüberschreitender Musik und unermüdlicher (Er-) Finder immer wieder neuer Sounds.

Grandiose Kollektivimprovisation im Sudhaussaal

Eine Mischung aus Weltraumbahnhof und archaischer Kultstätte. Geheimnisvoll glimmende rote Lämpchen und Anzeigeinstrumente, von hoch oben, von der Decke herunter sacht bewegte rot schimmernde Stoffbahnen, mit geheimnisvollen Mustern und Strukturen bemalt. Dort, wo sonst die vorderen Sitzreihen fürs Publikum sind, stehen in einem großen Kreis angeordnet Instrumente, Verstärker, Lautsprecher, Tische mit Mischpulten, Panels, allerlei Spielsachen und das Schlagzeug von Oliver Schmid. Und dann beginnt für die, die einzusteigen bereit sind, eine eindrückliche Reise. Sacht, fast zart der Beginn. Molvaer lässig zurückgelehnt, in seinem Stuhl, in der einen Hand die Trompete, die andere Hand irgendwie versteckt an einem Laptop schickt er einsame und langgezogene Melodielinien in den Raum, zunehmend angereichert von Hall – und Echoeffekten. Nach und nach ist man dann drin, in diesem Soundkosmos, in dem man zumindest glaubt, ab und zu Schlagzeug, e-Gitarre oder Trompete zu erkennen, in dem aber alles zu verschmelzen und sich zu einer verführerisch duftenden brodelnden Suppe zusammenzubrauen scheint, was die Sechs da an ihren unterschiedlichen Instrumentarien auf den Weg durch ihre Verstärker, Verzerrer, Echokammern und Modulatoren schicken. Donnern, rotglühende Hitze mitten im Winter. Bassbeben im Bauch. Ravi Vaid tanzt an seinen Soundpads, immer wieder neue Beats und Klangfarben wabern durch den Raum, auf dem Tisch von Tom Verbruggen kreist ein kleines grünes Plastikschwein.

Spaceship und lebendiges Wesen

Ab und zu, wie ein Signal aus einer fern in der Zukunft liegenden Vergangenheit die Stimme von Koho Mori, dann Soundcluster in einer schier nicht auszuhaltenden Intensität und Lautstärke. Gefühlte Ewigkeiten lang. So könnte es klingen, direkt neben dem Triebwerk der Rakete in den Weltraum zu starten. Gerade noch rechtzeitig wechseln die Stoffbahnen von rot auf weiß mit blauen Einsprengseln. Break. Brake. Fast irreal anmutender Wohlklang jetzt, erinnert an die ruhigeren und fast einschmeicheligen Passagen, die es auch in Molvaers Alben immer wieder gibt. Bestechend schöne, anrührende Trompeten – Parts, zu denen sich immer wieder auch Marcel Vaid an seiner Gitarre gesellt. Schwerelose Pausen, wenn sich das Raumschiff mit Lichtgeschwindigkeit durch die Soundgalaxien bewegt. Ein ständiger Wechsel von Spannung und Entspannung. Und noch ein Weltraum – Bild: Fast unglaublich, dass es keinen Commander zu geben scheint. Nicht nur die Sounds und Rhythmen überlagern, ergänzen, beschleunigen und bremsen sich gemeinsam, es sind vor allem die sechs so miteinander kommunizierenden und verwobenen Musiker, die diese gemeinsam Improvisation zu einem manchmal fast atemberaubenden Genuss macht. Faszinierend war, zu erleben, wie sich diese gemeinsame Reise dann auch einem gemeinsamen Ende nähert. Das gemeinsame Spaceship ist längst zu einem einzigen lebendigen Wesen geworden, man hört es ausatmen, nach diesem grandiosen Ritt durch die Winternacht und wird, mit versöhnlich sanften Sounds versorgt, in die Januarkühle entlassen…..

Tom Hagenauer


Schwarzweiß mit Grautönen und zart

Tübingen, 27.1.2023

Above the Floating Room

‚Above the Floating Room‘ hat Koho Mori-Newton seine Installation genannt, die am Tag nach dem Molvaer / Superterz – Konzert einen Raum weiter, in der Sudhaus – Galerie Peripherie präsentiert wird. Ein hoher Raum, in dem irgendwann in der Vergangenheit mal Bier gebraut wurde, ein Raum, in dem sich nun bis zum 5. März schwarz – weiß – grau bemalte Seidenbahnen ganz sacht bewegen. In leichten geschwungenen Bögen schweben die transparenten sich immer wieder verändernden Tuschegemälde über den Köpfen der Besucher*innen. Von der Empore, fast unsichtbar für`s Publikum sind plötzlich Töne zu hören. Ganz unverfälscht, ohne Verzerrer, Echo und Hall die pure, reine Trompete, wie von ganz hoch ober im Norden, Nils Petter Molvaer mit dem, was ihm einfällt zu den Seidenmalereien seines Mitmusikers vom Vortag. Zur Trompete gesellt sich die Stimme von Lauren Newton, eine der bedeutendsten zeitgenössischen Vokalistinnen und Jazzpreisträgerin, außerdem Ehefrau von Koho Mori.  Und während Töne, Laute, Melodiefragmente, Silben, Sprachpartikel und Klänge sich mit den sanft bewegten Seidenbildern verbinden, sind im Publikum auch Marcel und Ravi Vaid von Superterz zu entdecken, die diesen ‚Floating Room‘ sichtlich und in Ruhe zu genießen scheinen. 

Im Sommer 2022 hat die in Tübingen lebende Sängerin und Vokalistin den Landesjazzpreis des Landes Baden Württemberg für ihr Lebenswerk überreicht bekommen. Das war Anlass für die Jahresschrift ‚Tübinger Blätter‚ sie in einem ausführlichen Porträt vorzustellen und zu würdigen. Nachlesen können Sie das demnächst hier.

Tom Hagenauer

Portraits von Nils Petter Molvaer

Portraits von Koho Mori-Newton

Portraits von Lauren Newton