Peter Evans Trio beim Jazzfestival Esslingen in der Dieselstrasse 2024
Peter Evans – Piccolo-Trompete, Trompete
Petter Eldh – Bass, Elektronik
Jim Black – Drums, Elektronik
Esslingen, 9.10.2024
Der küssende Trompeter und seine „Electronic-Gang“
Es war ein etwas seltsam anmutender Konzertabend, den das Peter Evans Trio in der Esslinger Dieselstraße, im Rahmen der jährlichen Jazztage ablieferte. Peter Evans gilt als experimentierfreudiger Musiker, vor allem für grenzüberschreitende Improvisationsmusik, die sich genreübergreifend in Jazz, Klassik und Neuer Musik wiederfindet. Der 1981 geborene Trompeter ging bereits 2003 als Profimusiker nach New York, wo er sich schnell einen Namen als Musiker machte, für den es kaum Grenzen gab. Er ist beim alljährlichen Festival of New Trumpet Music in New York ein regelmäßiger Teilnehmer, dem stehen Konzerte, wie beispielsweise Bachs Brandenburgischen Konzerte auf der Piccolotrompete, oder die Messe in H-Moll gegenüber.
Seine nicht minder experimentierfreudigen Mitstreiter, fügten sich an diesem Abend in diese strukturell unberechenbare Musik nahtlos ein. Am Bass und den Electronics mühte sich der bereits mit mehreren deutschen Jazzpreisen ausgezeichnete schwedische Bassist Petter Eldh ab, darunter der Preis 2024 in der Kategorie Saiteninstrumente. Jim Black am Drumset, der ebenso wie seine beiden Kollegen, musikalische Grenzen überschreitet, hat in seiner Vita große Namen wie Paul Motian, Charlie Haden und Carla Bley zu verzeichnen. Seine Erfahrungen mit elektronischer Musik sammelte er auf Tourneen mit Electromusic Ikone Laurie Anderson.
Das Wummern und die Kollisionen im musikalischen Raum
Black beginnt das Konzert mit scheinbar unkontrollierten Geräuschen, dass er aus seinem Laptop herausquetscht, hektisch wummernd und kantig. Nach wenigen Minuten gesellt sich Bassist Eldh, mit ebenso wummernden Beats dazu. Evans sonnenbebrillt noch abwartend mit der Piccolotrompete in der Hand, lauscht dem Electrospektakel noch regungslos. Doch Momente später steigt er mit verfremdeten Trompetentönen, ohne Vorwarnung ein. Eine Kollision der Töne, ohne dass ein strukturelles Prinzip auf den ersten Blick erkennbar oder erhörbar ist. Krass, schräg, unbequem ist das beim ersten Hinhören, ob komponiert oder improvisiert erschließt sich dem Zuhörer nicht unbedingt.
Rasante Tonfolgen auf der Miniaturtrompete, in aberwitziger Geschwindigkeit werden untermalt von programmierten Beats und den beiden Mitspielern, die inzwischen auf die konventionellen Instrumente Kontrabass und Schlagzeug umgestiegen sind. Evans malträtiert sein Instrument auf verschiedenste Art und Weise unerbittlich, mit Zunge, Lippen und Luftströmen verschiedenster Stärke. Manchmal scheint er seine Trompete liebevoll zu küssen, Momente später mit spuckenden Luftströmen zu bestrafen. Ein Inferno für die Gehörgänge, eine Tour de Force zwischen Avantgarde, Free Jazz, Electricmusic und Bebop. Blickkontakt zwischen den Musikern besteht fast gar nicht und so drängt der Gedanke sich auf, dass jeder in sich und seinem Instrument gefangen, sein eigenes Ding macht. Wer kollektiven Wohlklang an diesem Abend erwartet hatte, war heute am falschen Ort.
Die Freaks aus der Unterwelt und die Lichtblicke.
Irgendwann ebbt das ungeschliffene Musikerlebnis, auch lautstärkentechnisch ab und es entsteht leichter konsumierbare tonale Kost. Klar definierte Rhythmusfolgen erheben sich aus dem vorangegangenen Chaos und die Trompete findet zu ihrem ursprünglichen Klang zurück. Doch wer sich zurücklehnte und nun etwas „gechillteren“ Sound erwartet, hatte sich wieder zu früh gefreut, denn das Inferno setzte sich in den Stücken „Freaks“ und „Underworld“ fort. Da es keinerlei Ansagen und Pausen zwischen den Stücken gab, kann man nur erahnen, wo die Freaks sich in der Unterwelt bewegten. Doch die Drei scheinen viel Spaß in dieser musikalischen Horrorlandschaft zu haben, denn nahezu nichts hört sich irgendwie, für das auch noch so geschulte musikalische Gehör normal an. Evans ist ein Meister der sogenannten Multiphonik, er kann simultane Linien, oder subtile Kombinationen aus langen Tönen und unterschiedlichen Klangfarben bauen, was manchmal weit entfernt vom ursprünglichen Sound einer Trompete ist. Auch irgendwie faszinierend wie er die Luftströmungen auf seinem Instrument manipuliert, modelliert und oft sehr eng mikrofoniert. Diese kreative Energie scheint mit einer traumwandlerischen Sicherheit einherzugehen.
Die Kurzkür der musikalischen Individualisten
Nach 50 Minuten endet das infernalische Konglomerat relativ dezent mit leisen Tönen. Man fühlt sich an das legendäre Miles Davis Album „Agatha“ erinnert, jede Plattenseite über 45 Minuten knallharter Electro-Hardbop ohne Pause. Teil 2 des Abends wird der Zuhörer anfangs wiederrum auf ein falsche musikalische Fährte geführt. So manch einer denkt nun, hey, die können ja ganz normalen Jazz machen. Doch schon nach kurzer Zeit geht es zurück in die Wildheit des elektronisch verfremdeten Avantgarde Jazz. Eine knappe halbe Stunde später ist der Zauber vorbei. Pause?? Oder schon fertig?? Das Publikum fordert frenetisch eine Zugabe, die das Trio mit einer braven Verbeugung verweigert, oder ablehnt und keiner im Saal weiß so genau, warum schon Schluss ist. Nach einigen Minuten des anhaltenden Beifalls kapituliert das Publikum und verlässt einigermaßen konsterniert die Dieselstraße. Ein sprichwörtlich kurzweiliger etwas seltsamer Abend zu Beginn des Esslinger Jazzfestivals.
Harald Kümmel
Portraits von Peter Evans
Portraits von Petter Eldh
Portraits von Jim Black