SWR NEWJazz Meeting 2022 – Micah Thomas mit „Forest“
Micah Thomas, Klavier (Kurator)
Nicole Glover, Tenorsaxofon
Kalia Vandever, Posaune
Adam O’Farrill, Trompete
Henry Fraser, Kontrabass
Kayvon Gordon, Schlagzeug
Tübingen, 6.12.2022
Micah Thomas` Forest – Herausforderung statt Idylle
Eine Art Stuhlkreis: sechs Musikerinnen und Musiker sitzen einander zugewandt auf der großen Sudhausbühne. Es beginnen Bass und Trompete. Adam O`Farrill spielt nicht unbedingt das, was Jazztrompeter `klassischerweise´ aus ihrem Instrument entlassen. Zu hören ist eher das reine Blasen, das Geräusch der Luft, die sich am Mundstück bricht, sich durch die Windungen des Instrumentes bewegt, ab und an dann – recht brüchig – die Ahnung eines Tones. Dazu gegenüber der Bogen, der gegenüber über den Saiten schwebt: vorsichtige, sachte Flageolett – Sounds von Henry Fraser am Kontrabass. Zunächst also zwei aus dem Forest – Sextett, die den Beginn dieses Improvisations – Experimentes markieren.
Experiment mit offenem Ausgang
Es ist ein doppeltes Wagnis, ein Experiment mit offenem Ausgang: Musik zu entwickeln und aufzuführen, sich – das ist das Konzept – im Baden – Badener SWR Hörfunkstudio in Kreativ – Klausur zu begeben und was ganz Neues, Eigenes zu schaffen. Dem 25-jährigen derzeit in New York beheimateten Pianisten Micah Thomas – widerfuhr dieses Glück, und er bekam diese vier Tage in der Kurstadt angeboten, um dort mit fünf Musiker*innen seiner Wahl, aber auch dem klar definierten Ziel, am Ende drei Aufführungen des entstandenen Programms in Karlsruhe, Tübingen und Mannheim zu realisieren. Keine Stücke, Tracks oder gar Songs seien zu erwarten, das machte SWR – Redakteur und Leiter des Projekts Günther Huesmann in seiner Einführung klar, es geht um improvisierte Musik. Auf den Notenständern, die ein bisschen brav vor den Improvisationskünstlern standen, gebe es allenfalls Skizzen, Ideen.
`Forest` hat Micah Thomas sein Projekt, seine Band, genannt, und nach dem Bass – Trompeten – Auftakt setzte sich so eine Art Suchen und Finden fort, weitete sich nach und nach aus, auf das gesamte Ensemble, allerdings ohne sich in (ein)-gängige metrische Strukturen zu begeben. Erstes Highlight dann: eine ins Rund geblasene Stakkato – Passage, die aufgegriffen, weitergegeben, beschleunigt, verfremdet wurde, zurückkam, mehrmals, noch schneller wurde, vielleicht auch anders (Stille Post heißt das `Kinderspiel`) um dann in einem recht furiosen Klanggebilde – vorläufig – zu enden. Whow. Pause. Stille.
Zerstörte Romantik
Er wolle sich von den Texturen des Waldes inspirieren lassen, das war die Idee von Micah Thomas` für ´Forest`. Dieses Bild für das Sudhaus – Konzert aufgreifend gab´s ganz unterschiedliche Möglichkeiten, diesem zunächst mindestens sperrigen Tongeflecht zu begegnen. Sich verirren, rat- oder rastlose Suche, sich fremd – fühlen, Verzweiflung, das alles kann Forest bedeuten, obwohl der Wald ja eigentlich – und nicht nur in Deutschland – manchmal auch mystisch überhöht für Harmonie, Stille und Intaktheit der Natur steht. Forest könnte aber auch das Ächzen oder die Schmerzensschreie, auch das Verstummen von geschundenen, brandgerodeten oder ausgebeuteten Wäldern unserer Zeit aufgreifen, die Zerstörung der Idylle, der Rückzugsräume und der Harmonie, das Verschwinden vieler Tiere und Pflanzen. Auch so etwas könnte zu hören gewesen sein, im Konzert von Forest. Eine Möglichkeit und vielleicht überinterpretiert.
Im Sudhaus – Saal gab`s beides: Die ratlosen, manchmal fast ärgerlichen Gesichter als Reaktion auf ein Konzert ohne erkennbaren Groove, Swing, ohne richtige Möglichkeit, sich einzuhaken. Aber auch große Aufmerksamkeit, geschlossene Augen und offene Ohren für mögliche Bilder und Geschichten, die diese Musik vielleicht doch erzählt hat.
Swing zum Schluss
Und es gab einen zwar streckenweise in sich gekehrten Kayvon Gordon am Schlagzeug, dessen Spiel auf den Becken so behutsam, vielfältig, flächig, fein und schwebend sein konnte, wie lauer Wind in einem Herbstwald. Es gab – ein weiterer Höhepunkt – eine minutenlange Bass – Drone – Fläche, die pur Energie verströmte.
Und dann, tatsächlich, fast wie aus verhangenem Himmel, Swing, Groove, überraschender Übergang in eine fast unbeschwerte Schluss Sequenz. Wunderbares Zusammenspiel zum Beispiel von Nicole Glover am Tenorsaxofon und Kalia Vandever an der Posaune. Fast wie wenn sie uns mit einem Augenzwinkern sagen wollten `keine Sorge, wir kennen das Jazz – Alphabet`, und uns ein bisschen versöhnen wollten, mit der Schwere der Welt. Und immerhin könnten wir uns ja bei unserem nächsten Gang durch den Wald mal auf unsere Ohren konzentrieren, und so ganz seltsame einzelne Geräusche wahrnehmen, die entfernt an eine Trompete erinnern…
Tom Hagenauer
Portraits von Micah Thomas
Portraits von Kalia Vandever