Web Web x Max Herre: Web Max bei den Int. Theaterhaus Jazztagen
Max Herre – voc, comp
Roberto Di Gioia – piano
Tony Lakatos – sax, flute
Christian von Kaphengst – kontrabass
Peter Gall – drums
Stuttgart, 14.4.2022
Max Herres Wunscherfüllung
Wie Mehltau liegt die Pandemie noch über unserer Kulturlandschaft, so begann Theaterhauschef Schretzmeier seine Ansage zum Konzert von WEB WEB mit Max Herre. Eventuell war es auch diesem Zustand geschuldet, dass nur knapp die Hälfte des großen Saales im Theaterhaus Stuttgart an diesem Abend belegt war. Herre, normalerweise ein Publikumsmagnet, der durchaus in der Lage ist größere Hallen zu füllen, bekam an diesem Abend nicht die erwartete Resonanz, zumindest was die Zuschauerzahl betraf. Vielleicht wurde aber auch die Vorstellungskraft von manch einem der Interessenten dieses Konzertes im Vorhinein überfordert, der mit der Beschreibung der musikalischen Richtung des Abends nichts anfangen konnte. Robertos Di Gioia`s 2017 gegründete Band WEB WEB, die für swingenden modernen crossover Jazz steht und dem Deutschrapper Max Herre – wie soll das zusammen funktionieren?
Der 57jährige Roberto Di Gioia kann auf eine recht lange illustre Karriere zurückblicken. Bereits 1990 stieg er bei Klaus Doldingers Passport ein. Kooperationen mit Udo Lindenberg, Helge Schneider, Albert Mangelsdorff, Joe Lovano, Clark Terry und in jüngster Zeit mit Wolfgang Haffner und Til Brönner zeigen die Bandbreite seiner Arbeit. Seine aktuelle Band besteht aus den Mitgliedern Christian von Kaphengst am Bass, Peter Gall am Schlagzeug und dem ungarischen Saxofonisten Tony Lakatos. Ein Fauxpas war es, Lakatos, diesen arrivierten Musiker, im Programmheft einfach zu vergessen. Dies gestand Werner Schretzmeier dann auch bei seiner Ansage ein und forderte einen motivierenden Applaus vom Publikum für die ungarische Jazzlegende. Lakatos, bekannt für seinen leuchtenden Ton mit kompakten Höhen, gilt demzufolge auch als vorzüglicher Balladen-Interpret. Er war bisher an der Einspielung von mehr als 280 LPs und CDs beteiligt und ist als der erste ungarische Musiker, dessen Platten die Gavin Report Top Ten der amerikanischen Jazz-Radiosender erreichten („Recycling“, 1993; „The News“) in die Jazzanalen eingegangen. Tony Lakatos wurde zudem noch mit dem Hessischen Jazzpreis des Jahres 2020 ausgezeichnet.
Infernalischer Start
Nach der ausführlichen Einführung Schretzmeiers begann der musikalische Teil des Abends mit einem temporeichen, von mehreren Soli durchzogenen infernalischen Musikstücks, bei dem Lakatos sich als auffälligster Akteur präsentierte. Nach dem darauffolgenden balladenhaften ruhigen Stück, wurde das Tempo wiederrum angezogen und Di Giogia zeigte sein sehr variables Spiel am Klavier und am Fender Rhodes.
Spätestens nach der ersten halben Stunde fragte man sich: Was hat den Herre mit dem Ganzen hier zu tun? Unauffällig nur begleitend, ohne Solopart oder Gesang, ein wenig dünn für einen Headliner des Abends. Die Auflösung folgte auf dem Fuße, als Herre aus seiner Jugend erzählte über seine Bewunderung für die Großen der Jazzszene, aus der sein Wunsch entstand, eben mit solchen Größen irgendwann einmal auf der Bühne zu stehen.
In gewohnter Manier ging es weiter mit sololastigem Jazz mit harmonischen Passagen. Von dem im Programm angekündigten Spiritual-, Middle Eastern- und Ethnojazz war nur ansatzweise etwas zu erkennen; von den tanzbaren, mantrischen Grooves keine Spur. Endlich, nach 40 Minuten, näherte sich das Ensemble etwas der Beschreibung dieser Sounds, als Herre auf sein ursprüngliches Genre zurückgriff und mit seinem verhaltenen Sprechgesang den Touch von einem Crossover Jazzabend vermittelte. In dem etwas ruhigeren Part des Konzertes, der nun folgte, schwebte Lakatos Saxophon über den getragenen melodiösen Jazzlines seiner Begleiter, was den einen oder anderen Zuschauer bestimmt dazu bewegte, die Augen zu schließen, um achtsam dieser feinen Musik zu lauschen. So war diese erste Stunde eine Art musikalisches Intervalltraining und man war gespannt wie der Abend weiter verlaufen würde.
Eine musikalische Kurzkür
Es gab jedoch ein böses Erwachen, als Di Giogia nach gut 60 Minuten verkündete, dass man nun langsam zum Schluss des Abends kommen würde. Leichte Empörung machte sich, auch akustisch, im Publikum bemerkbar. Nochmals schwebten Gesangslinien über einer getragenen Instrumentierung, bevor nach siebzig Minuten das offizielle Programm beendet wurde. Eine musikalische Kurzkür, zwar äußerst hochwertig, aber letztendlich ein Sparprogramm.
Es folgten noch zwei Zugaben. Mainstream-Jazz zum Mitklatschen, wiederum mit viel Raum für ein Lakatos Solo, was die Konzertdauer letztendlich auf neunzig Minuten streckte. Die grosse Frage des Abends lautete nicht „Wo ist denn Behle?“ sondern „was macht der Max eigentlich musikalisch die ganze Zeit so?“. Zeitweilig zumindest an den Tasteninstrumenten völlig untergeordnet, fast abgetaucht, durfte er dann in den letzten Minuten des Abends doch noch die Erwartungen vieler Zuschauer, zumindest zum Teil erfüllen. A-N-N-A, sein erfolgreichster Titel, immerhin 250 000 Mal verkauft, bildete den Abschluss eines Abends, der nicht alles hielt was er versprach. Nicht nur der Autor verließ das Theaterhaus mit dem zwiespältigen Gefühl einen netten, etwas kurzen musikalischen Abend erlebt zu haben, bei dem eigentlich keine tiefen Erkenntnisse in Erinnerung bleiben werden.
Harald Kümmel
Portraits von Roberto Di Gioia
Portraits von Tony Lakatos
Portraits von Christian von Kaphengst