Wolfgang Muthspiel Quintet im Sudhaus Tübingen 2018
Wolfgang Muthspiel, Gitarre
Matthieu Michel, Trompete, Flügelhorn
Colin Vallon, Piano
Larry Grenadier, Bass
Jeff Ballard, Schlagzeug
Tübingen, 8.11.2018
„Where the River Goes“ – Wolfgang Muthspiel Quintet
Intuitive Magie
Ein Wetterleuchten der Intensität, das Wolfgang Muthspiel und sein Quintett am Donnerstagabend im Sudhaus entfachte. Mit einer nicht eben alltäglichen Verbindung von melodiöser Kammermusik und schrägen Jazzklängen begab sich der österreichische Gitarrist auf Spurensuche.
Die Idee des Neuen hält er für überschätzt. Wolfgang Muthspiel setzt dagegen auf die Vergangenheit, die unausweichlich, wie ein gewaltiger Steinbruch, vor einem stehe: „Alles, was man tun kann“, sagt der österreichische Gitarrist, „ist die Form im Moment zu finden und einzufangen.“ Muthspiel tut das so schön wie kaum ein anderer. Der Gitarrist mit der Schirmmütze ist mit 53 Jahren längst oben angekommen, ein Star der Szene, einer der wenigen Jazzgitarristen, die Säle füllen. Ins Sudhaus kommen manche aus Stuttgart oder von der Alb angereist, schließlich ist das eines der bloß vier Deutschlandkonzerte Muthspiels, der sich selbst einen Romantiker nennt, der mit Rebekka Bakken ebenso zusammenarbeitete wie mit Gary Burton, John Patitucci und Maria Joao.
Ganz alleine steht er zum Auftakt auf der Bühne und spielt einen Kanon im 5/4tel-Takt. Seine Technik, die er sich autodidaktisch beibrachte und später beim Gitarrenstudium in Graz und in den USA verfeinerte, kommt aus der klassischen Musik und wird getragen von ruhigen, aber variantenreichen Interpretationen. Nach dem ersten Solostück betreten seine Mitmusiker Mathieu Michel (Trompete und Flügelhorn), Colin Vallon (Piano), Larry Grenadier (Kontrabass) und Schlagzeuger Jeff Ballard die Bühne und schon nach wenigen Takten ist klar: hier nehmen fünf Musiker ihr neues Album „Where The River Goes“ nur als Ausgangspunkt für ein spannendes Miteinander, das von intuitiver Magie, Überraschungsmomenten und vom gegenseitigen Zuhören der Musiker geprägt ist.
Dass dieses Konzert so begeistert, liegt vor allem daran, dass Muthspiel das Gefühl von Zerbrochenheit mit dunkel getönter Nostalgie übermalt, dass er die Reste der Geschichte so gut zusammenflickt, dass sie wie eine neue, zweite Oberfläche wirken. Anders als andere Altersgenossen zieht es ihn angesichts der Übermacht der Vergangenheit nicht an die Ränder. Er bleibt in der wohltönenden Mitte zu Hause, gleicht die Brüche aus, die andere lustvoll betonen würden. Manches gleitet gleichmütig vorbei, zu weich, zu schön, zu rund, um es festhalten zu können. Hat man aber einen Haken gefunden, hört man sich an der Oberfläche vorbei in die Musik hinein, ist da eine ungemein vielfältige, vom Bass Larry Grenadiers sehr klar grundierte, vom Schlagzeug Jeff Ballards nur dezent angetriebene Klangwelt.
Wunderschön auch der von Muthspiel und Pianist Colin Vallon subtil entwickelte Dialog beim Stück „For Django“ oder das Zusammenspiel mit Trompeter Mathieu Michel, der neben Muthspiel am häufigsten im Mittelpunkt steht. Das Zugabenstück „Father and Sun“ (Vater und Sonne) beendet nach gut 90 Minuten eine kleine Sternstunde des Jazz.
Jürgen Spieß
Portraits von Larry Grenadier
Portraits von Jeff Ballard