Youn Sun Nah und Eric Legnini beim Esslinger Jazzfestival 2024
Youn Sun Nah (voc)
Eric Legnini (piano)
Esslingen, 25.10.2024
Stimmakrobatik und James Bond in sakraler Atmosphäre
Feeling good der James Bond Titelsong im Original interpretiert von Nina Simone bildet den Auftakt für einen wirklichen „Feelgood-Abend“ in der Esslinger Stadtkirche mit südkoreanischen Sängerin Youn Sun Nah. An ihrer Seite an Keys der belgische Pianist Eric Legnini, der wie die Sängerin ebenfalls in Paris lebt und bereits Jazzgrößen wie Branford Marsalis, Thoots Thielemans und Joe Lovano begleitete. Youn Sun Nah wuchs in einer musikalischen Familie auf, Mutter klassische Sängerin Vater Dirigent. Ihr Debut hatte sie dann mit 23 Jahren logischerweise auch auf der klassischen Sangesbühne mit dem koreanischen Sinfonieorchester. Auf nationaler Ebene schlossen sich zahlreiche Musicalauftritte an, für die sie mehrere Auszeichnungen erhielt.
Bereits 1995 entschloss sie sich nach Paris zu gehen um an einer der ältesten Jazzschulen Europas dem CIM, Jazz und französisches Chanson zu studieren. In dieser Zeit trat sie als Sängerin eines Quintetts in verschiedenen Pariser Clubs auf und traf auf viele Musiker der französischen Jazzszene. Nachdem Sie in den folgenden Jahren fünf Alben einspielte, wurde sie 2009 exklusiv bei dem Plattenlabel ACT unter Vertrag genommen. Zusammen mit den schwedischen Musikern Lars Danielsson und Ulf Wakenius nahm sie Ihr Debutalbum „Voyage“ auf. Anschließend ging sie zusammen mit dem Gitarristen Wakenius auf Tournee.
Schreien, röcheln, quietschen und singen auf höchstem Niveau
Auf ihrem neuen Album „Elle“ hat die koreanische Sängerin ausschließlich bekannte Musikstücke von den großen Sängerinnen der Jazz- und Popgeschichte aufgenommen und in ihrer ganz eigenen Art und Weise neu interpretiert. Ob Nina Simone, Björk, Grace Jones oder Edith Piaf, an diesem Abend entstehen eindrucksvolle kleine musikalischen Meisterwerke. Youn Sun Nah reizt die ganze Bandbreite ihres Stimmvermögens aus. Sie schreit, röchelt, flüstert oder schleudert wie besessen ihre ganze Sangesenergie in den kirchlichen Raum und reist das Publikum zu Beifallsstürmen hin. Dass sie auch Klassik kann, ihren Wurzeln entsprechend, beweist sie bei dem Stück „Asturias“ des spanischen Komponisten Isaak Albeniz. Es ist eine völlige neue Interpretation des textlosen Stückes, das einer vocalistischen Achterbahnfahrt gleichkommt.
Hier kann dann auch Eric Legnini endlich seine Spielfreude am Klavier demonstrieren, der bis dahin nur als wunderbarer Begleiter der Sängerin fungierte. Rockig, poppig wird es bei Jefferson Airplanes „White Rabbit“ und der Jazz findet über Chet Bakers „My funny Valentine“ Einlass in den Konzertabend. Die Auswahl der Songs spiegelt eine Vielzahl von Einflüssen wider. Neben der klassischen Komponente, erhalten auch Scat, Songwriter-Musik, 60-70er-Jahre-Pop, sowie tiefe bluesige Balladen, mit Gefühl dargebracht, ihren Raum.
Minimalistische Darbietungen mit großer Wirkung
Bei zwei Songs begleitet sich Youn Sun Nah selbst auf ganz simplen Instrumenten wie einer Spieluhr und einer Kalimba, dem afrikanischen Daumenklavier. Als sie bei einem Konzert mit Omar Sosa in Paris eingeladen war, entdeckte sie diese kleine Instrument und versuchte es in ihren Songs einzusetzen. Und es klappte beim Auftaktstück „Feeling Good“ am optimalsten, obwohl dieser Song eigentlich viele Akkorde hat, konnte sie demonstrieren, dass die Idee der minimalistischen Begleitung hier zu hundert Prozent funktionierte. Bei „Killing Me Softly with His Song“ zeigt Youn Sun Nah auf, dass auch die harmonisch begrenzten Möglichkeiten einer Spieluhr, komplexe harmonische Strukturen erzeugen können. Als das Publikum den Refrain mitsingt und die Koreanerin ihre wunderschöne Stimme darüber legt, ist die Atmosphäre nahezu heilig in diesem wie immer mit schönen Lichteffekten ausgestatten kirchlichem Gebäude.
Auch das Stück „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“ wird unter den Händen des Duos zum minimalistischen Wunderwerk. Irgendwie klingt es, als wäre jede Silbe, jede Note, jedes Bending, jede Phrasierung total ausgearbeitet, am Ende sogar mit einer geheimnisvollen fernöstlichen Färbung. Das letzte Stück des normalen Programms ist eine Verbeugung vor der legendären Edith Piaf. Die Interpretation von „La Foule“ ist ebenso atemberaubend wie berückend schön. Das gilt ebenso für Norma Winstones „Just Sometimes“, doch als Rauschmeißer kommt doch nochmal ein männlicher Sangesstar zu Ehren. Bei „Jockey Full of Bourbon“ von Tom Waits wird es nochmal „rough“, wie sollte es auch anders sein. Der leider vor kurzem verstorbene Waits hätte seine helle Freude gehabt, am Schreien, Weinen und dem inbrünstigen Gesang der koreanischen Soundakrobatin. Ein Abend der zeigte wie vielschichtig und faszinierend Musik ohne große Instrumentierung sein kann. Ein Highlight beim Esslinger Jazzfestival.
Fotos und Text Harald Kümmel
Link zum Jazzfestival Esslingen 2024