Interview mit Altsaxofonist Markus Harm
Nach dem Konzert des Bird Lives! Quartet im Club Voltaire führten wir mit Markus Harm folgendes Gespräch:
Markus, wie hast Du die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie erlebt?
Die ersten Tage des Shutdowns haben mich und mein Quartett gleich hart getroffen, wir hätten eine Tour gespielt, die schon seit einem Jahr fix war. In der gleichen Woche noch Workshops, alles wurde abgesagt. Bei den ersten Terminen war ich noch sehr verärgert und niedergeschlagen, irgendwann hat sich das ein wenig gelegt, ich konnte akzeptieren, dass ich nun zu Hause sein werde. Online zu unterrichten an Hochschule und Musikschule in Nürnberg, das ging ganz gut und ich konnte mich über Wasser halten. Allerdings bin ich darauf eingerichtet, live zu spielen, das macht mehr als 70 % meines Umsatzes aus – und es ist ein wichtiger Teil meines Lebens, der nun einfach wegbrach.
Leider hat die Politik nicht besonders viel für die Szene getan, Clubs mussten zumachen, viele Existenzen sind bedroht, das ist ein harter Schlag, vor allem für die freie Musikszene, für die Jazzszene.
Auf der anderen Seite hatte ich noch nie so viel Zeit an einem Ort, seit ich vor 13 Jahren nach Nürnberg kam – jetzt lebe ich mit meiner Freundin zusammen auf dem Land. Ich übe viel, schreibe wieder Musik, dafür war vorher weniger Platz. Es hat auch sehr positive Dinge ausgelöst in mir. Und das Kochen habe ich wieder entdeckt!
Allerdings wird es jetzt wirklich Zeit, dass wir wieder spielen dürfen – nichts ersetzt einen Gig mit tollen Musikern, darum geht es!
Wie kamst Du zum Jazz?
Mein Vater ist begeisterter Jazzfan, er besitzt eine große Schallplatten- und CD-Sammlung, die ich seit Kindesbeinen von morgens bis abends hören durfte! Er spielt selbst Schlagzeug, mit meinem Bruder gemeinsam hatten wir eine Hausband, schon in jungen Jahren.
Wir haben in Stuttgart bei Freunden meines Vaters viel Jazz gespielt, ich habe damals gelernt, nach Ohr zu spielen, Themen zu spielen, die Form zu halten.
Während viele meiner Freunde HipHop und Soul, Techno, Hardrock oder auch klassische Msuik gehört haben, habe ich mich intensiv mit Dexter Gordon, Coleman Hawkins, Stan Getz, Charlie Parker, Cannonball, Trane, Miles und diesen ganzen großen Musikern auseinandergesetzt. Allerdings nicht wirklich intellektuell – ich habe über das Ohr versucht, die Sprache zu erfassen und sprechen zu lernen. Dieser Prozess geht immer weiter und weiter. Man lernt jede Woche neue Vokabeln, neue Sätze. Das hört sicherlich nie auf, das ist das Schöne daran!
War für Dich Altsaxophon schon immer erste Wahl?
Altsaxophon war für mich insofern die erste Wahl, dass man mit 12 Jahren von der Klarinette kommend meist aufs Alto wechselt, das hängt mit der Körpergröße zusammen. Ich liebe Tenorsaxophon auch, spiele auch seit ich 13 bin Sopransaxophon, das ist bei mir auch in den Bigbands und Large Ensembles viel im Einsatz, genau wie die Flöte und die Klarinette.
Als ich zu studieren begann, haben die meisten Altisten um mich herum auf das Tenor gewechselt, ich bin einer der wenigen, die beim Alto geblieben sind. Ich liebe den Sound des Altos!
Es ist aber schwer, einen dunklen, fetten Sound auf dem Alto zu bekommen. Daran arbeite ich seit Jahren. Wenn man die Anzahl der Altisten im Vergleich zu der der Tenorsaxophonisten weltweit betrachtet, so ist das ein Ungleichgewicht. Es gibt so viele mehr am Tenor! Ich muss zugeben, ich höre auch meist Tenoristen, weil viele von ihnen vom Tonmaterial interessanter spielen als Altisten, da gibt es natürlich auch immer Ausnahmen: Charlie Parker, Kenny Garrett, Dick Oatts, Lee Konitz u.a….
Hast Du ein besonderes Vorbild?
Ja, einer meiner ganz großen Heroes ist Dick Oatts. Ihn durfte ich auch persönlich kennen lernen, habe einige Workshops miterlebt und auch private Lessons bei ihm in den USA gehabt. Als ich ihn 2009 zum ersten Mal in Nürnberg gehört habe, konnte ich ein paar Stunden kaum reden, mir hat es im wahrsten Sinne die Sprache verschlagen. Einen solchen Altosound hatte ich nie zuvor live gehört – und seitdem nie wieder. Er ist für mich durch und durch ein Jazzmusiker: sein Sound, seine Time und seine Language – einfach ganz großes Kino in jeglicher musikalischer Hinsicht!
Frühere Vorbilder, die ich immer noch sehr schätze, werden immer wichtig für mich sein: Stan Getz, Michael Brecker, Kenny Garrett, Dexter Gordon, Charlie Parker, Cannonball Adderley, John Coltrane, Freddie Hubbard, Herbie Hancock, Lee Konitz, Art Pepper, Herb Geller, George Garzone, Jerry Bergonzi, Coleman Hawkins, Ben Webster, Count BasieBasie, Thad Jones, Brad Mehldau, Joe Lovano, Chris Potter, Rick Margitza, Oscar Peterson, Ahmad Jamal, Miles und so viele mehr…
Du bist zu hören in großen Orchestern genauso wie bei Duo-Auftritten. Was fasziniert Dich an den jeweiligen Formaten?
Jede Besetzung hat ihren Reiz. Mit meinem langjährigen Freund und Duopartner Andreas Feith (Klavier) sind wir sehr spontan unterwegs. Wir machen vor einem Konzert wenig aus, lediglich die Songs. Wir kennen uns sehr gut, haben so viel in verschiedenen Besetzungen zusammen gespielt – das macht großen Spaß! Wir sprechen auch eine sehr ähnliche musikalische Sprache und haben die selbe Auffassung von Time – und Time ist so unfassbar wichtig, im ganzen Leben!
Bei Large Ensembles reizen mich oft die Sounds, die beispielsweise Rebecca Trescher schreibt, tolle und sehr kreative Ideen, ungewöhnliche Zusammensetzungen – oder natürlich auch in Bigbands, in denen ich seit vielen Jahren sowieso viel spiele, dem Sunday Night Orchestra in Nürnberg, der Tobias Becker Bigband in Stuttgart oder auch Alex Bühls Concert Jazz Band – in jeder Band schreiben die Bandleader und Mitglieder des Orchesters selbst die Musik und die Arrangements. Oft auch für spezielle Solisten aus der Band.
Alex Bühl hat mir beispielsweise ein ganzes Bigband-Programm als Solisten auf den Leib geschrieben, da waren wir letztes Jahr viele Wochen mit einer jungen und sehr tollen Bigband, dem „Federal Pengueen Summit“ auf Tour.
Mein Quartett ist meine Herzensband, seit 2013 in der gleichen Besetzung, das dritte Album ist in der Pipeline – wir haben gerade aufgenommen! Hier kann ich verwirklichen, was ich mir wünsche, von allen Playern in der Band und den Songs, die ich für diese Besetzung auch immer neu schreibe! Dieses Jahr hätte ich mit den Nürnberger Sinfonikern als einer von vier Gastsolisten unter der Leitung von Wolf Kerschek einige Auftritte gehabt, das wurde aufgrund der Pandemie allerdings ins nächste Jahr verschoben – es bleibt also spannend!
Was hast Du in nächster Zeit geplant?
Vergangene Woche war ich mit meinem Quartett zwei Tage zu Gast bei einer Audio- und Videoproduktion im Bayerischen Rundfunk und Fernsehen in München. Beate Sampson hat uns eingeladen, wir arbeiten schon seit Jahren regelmäßig zusammen.
Die Aufnahmen, die dort entstanden sind, werde ich veröffentlichen. Es war wie eine Befreiung, die Songs zu hören und selbst zu spielen – und das in einem solch schönen Umfeld, wir haben uns sehr wohl gefühlt im BR.
Die Musik wird übrigens am 07. August auf BR-Klassik gespielt – die Produktion ist auch als Videoproduktion im Netz ab diesem Zeitpunkt, in einem Wechsel zwischen Songs und Interviewparts!
In nächster Zeit kann ich als Musiker nicht viel mehr vorhaben, als besser auf meinem Instrument zu werden. Was die Konzertszene im Herbst anbelangt, muss ich sagen, dass alles sehr unkonkret ist. Kein Veranstalter sagt hundertprozentig zu, weil von einer „zweiten Welle“ die Rede ist. Das wäre ehrlich gesagt eine Katastrophe für die gesamte Kulturszene, aber es ist natürlich möglich.
Es ist wahrscheinlich besser, dieses Jahr 2020 abzuhaken und sich über jedes tolle Konzert, das doch stattfindet, zu freuen!
Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen weiterhin viel Erfolg!
Das Interview mit Markus Harm führte Rainer Ortag
Fotos vom Bird Lives! Quartet im Club Voltaire
Portraits von Markus Harm