Interview mit Tom Hagenauer zu „Jazz im Studio“

16/04/202106/10/2021 RainerOrtag aktuell, Jazzclub Tübingen, SWR Studio

Jazz im Studio - 20 Jahre im SWR-Studio Tübingen — Tom Hagenauer im SWR-Studio

Tübingen, 25.3.2021

Tom Hagenauer und die Geschichte von „Jazz im Studio“ des SWR

Hallo Tom, „Jazz im Studio“ des SWR ist jetzt 20 Jahre alt. Wie kam es dazu?

An den `Ursprungsmoment` kann ich mich noch ziemlich genau erinnern. Ich hatte ein Interview mit dem Tübinger Vibrafonisten und langjährigen Vorsitzenden des Jazzclub Tübingen, Dizzy Krisch, aufgenommen, und wir wollten nach der Aufnahme durch dieses Studio 3 wieder raus auf den Gang. Da blieb der Dizzy plötzlich steh`n und sagte: „warum macht m`r in diesem wunderbaren Raum nicht mehr….hier könnt` man doch wunderbar Konzerte veranstalten.„…ich hab zuerst gesagt… „ja, ja, schöne Idee, aber das ist ja eigentlich ein reines Aufnahmestudio, da wurde früher höchstens mal Kammermusik produziert und eben viele Hörspiele….aber Konzerte, nein. Publikum hatte wir nie hier…“ Aber der Gedanke hat gewirkt, wir blieben noch eine Weile in dem holzverkleideten Raum, haben geredet und tatsächlich dann nach und nach ein Konzept entwickelt.

War es von Anfang an so geplant, daß diese Konzerte mit Publikum stattfinden und auch aufgezeichnet werden?

Ja klar. Das waren ja genau die beiden Dinge, die sowohl für den Tübinger Jazzclub als auch für uns – das SWR – Studio wichtig bzw. interessant waren. Der Jazzclub wollte ein Stück weit raus, aus den Tiefen des Jazzkellers – damals in der Haaggasse, also auch an anderen Orten präsent sein mit Konzerten. Und für uns, den SWR, ober auf dem Berg, da war`s eine tolle Vorstellung, dass wir Publikum aus der Stadt, aus der Region da hoch auf den Österberg bekommen konnten, damit auch zeigen wollten: Seht mal, in diesem SWR, da werden Nachrichten, Radio – und Fernsehsendungen produziert, aber da gibt’s auch ganz lebendig Jazz aus der Region. Und den gibt`s zunächst mal live – die jüngsten Konzerte live gestreamt – und die Musik gibt`s dann eben auch ganz oft als CD, oder in Ausschnitten im Radio zu hören. Das war also ganz wichtig, den Künstler*innen immer dieses Angebot zu machen, einen hochwertigen Mitschnitt zu bekommen. Viele haben neue Projekte vorgestellt, wenn sie `CD – reif` waren, oder haben auch nur was ausprobiert. Dieses Konzept war und ist schon ziemlich anspruchsvoll, denn es sind fast ausnahmslos Aufnahmen nach dem Prinzip `live im Studio` entstanden. Also alle Stücke live gespielt, keine overdubs, die später dazu kamen, so gut wie keine Korrekturen, und bei den Aufnahmen eigentlich auch ein ziemlich purer, oft fast puristischer Sound, wenig Hall, also ganz viel im wirklichen unplugged – Modus.

Viele Bands haben das Material auch verwendet, um CDs davon zu veröffentlichen.
Weißt Du noch wieviele Tonträger aus den Live-Mitschnitten im „Jazz im Studio“ entstanden sind?

Ehrlich gesagt, nicht genau. Ich denke, es sind so um die 30 CD`s , die produziert wurden. Das heißt etwa bei einem Drittel der Konzerte haben die Musiker*innen gesagt, nachdem sie Aufnahmen angehört hatten, JA, da wollen wir was draus machen und sind dann mit den Technikern in die Produktion gegangen. Manchmal, das sage ich ganz ehrlich gab`s Konzerte, da hätte ich mir`s sehr gewünscht, wenn das als CD rausgekommen wäre, aber da haben die Musiker*innen – Ohren Fehler gehört, die mir natürlich nicht aufgefallen waren, oder es gab andere Gründe, warum man keine CD wollte. Ich mein, die Aufnahmen waren ja auf jeden Fall mindestens ein Super Demo – Material für viele Bands.

Was es natürlich auch gab, das waren eine ganze Reihe von ganz dezidierten Plänen, wo die Künstler*innen sehr gezielt auf des SWR – Studio – Konzert hin geprobt haben, sich manchmal auch ziemlich lang und ausführlich vorbereitet haben, um das dann aufzunehmen. Das war dann manchmal auch extrem spannend. Spannend für die Musiker*innen, ob`s dann auch hinhaut, an so einem Abend. 1 zu 1 – first Take, first Cut. Spannend und herausfordernd auch für die Techniker, die natürlich genauso wussten, JETZT kommt`s drauf an. Und wenn man jetzt diese CD`s so vor sich sieht, auch mal wieder reinhört: Da ist schon was Tolles zusammengekommen, in diesen 20 Jahren…..

Wie oft im Jahr haben diese Events stattgefunden?

Ich glaube, wir haben immer so zwischen drei und sechs Konzerte pro Jahr gemacht, immer dienstags, immer um 20.30 Uhr. Manchmal gab`s dazu noch so special events, eine Piano – Nacht hatten wir, mit insgesamt sechs Pianisten oder Piano – Trios. Dann in den letzten Jahren eigentlich regelmäßig Sommerevents, bei denen wir – wenn`s ging draußen vor dem Studio – eine Bühne hatten und auch Schulbands vorstellten. Einmal, 2009 war das, zu einem Jazzclub – Jubiläum, da konnten wir Jasper van`t Hof gewinnen für ein Solo – Konzert auf der Österbergwiese, ein besonderer Moment, war das, sehr bewegend.

Wer hat die Musiker bzw. Bands ausgewählt?

Die überwiegende Mehrzahl der Bands, Formationen, Künstler*innen kamen natürlich über den Jazzclub ins Studio. Der Jazzclub verpflichtete sie ja auch, zahlt die Gage und bekommt natürlich auch jede Menge Anfragen. Wir haben das immer miteinander besprochen, haben auf jeden Fall drauf geachtet, dass immer wieder unser schöner Bösendorfer – Flügel zum Einsatz kam, ein tolles Instrument, das irgendwie zu diesem Studio gehört. Aber es gab nicht nur das Jazzclub – Booking, es gab dann immer mal wieder auch Anfragen an den SWR, an mich, manchmal auch nicht so unbedingt im klassischen `Modern Jazz – Segment`. Manchmal hat man auch ein bisschen diskutiert, die Termine hin und her geschoben und sich eigentlich immer auf ein schönes Programm geeinigt. Vor allem wenn man`s dann manchmal im Jahresrückblick angeschaut hat, dann war´s meistens eine schöne, vielfältige Klangreise.

In den 20 Jahren hat es bestimmt aussergewöhnliche Situationen gegeben. Kannst Du uns welche erzählen.

Was ich hier unbedingt erwähnen muss, das ist ein Konzertbesucher, der mich einmal in der Pause zwischen zwei Sets gefragt hat, ob ich im SWR – Studio Tübingen außer der Leitung der Jazz – Redaktion auch noch andere Aufgaben hätte. Das war irgendwie nett, denn die Antwort darauf zeigt, dass die ganze Konzertreihe ziemlich außergewöhnlich ist. Natürlich gibt`s m SWR – Studio Tübingen keine Jazzredaktion, ich selbst war Leiter der Aktuellen Redaktion und eben musikbegeistert, habe aus Tübingen viele Beiträge und Sendungen u.a. über Jazz gemacht. Wir haben als Studio in einem kleinen Team – ein Techniker am Abend, Petra Geiling für die Organisation und Werbung und ein Hausmeister – diese Konzerte veranstaltet, weil es uns Spaß macht, weil`s was Tolles ist, weil´s eben drei bis sechs außergewöhnliche Situationen im Jahr waren und sind.

Und wenn dann eine Band mit einer irre schweren Hammond – Orgel ankommt, die man ausladen muss, dann ist das schon noch mal besonders, wenn eine andere Band – Mandala Movie heißt die – sagt: Wir wollen keine Stühle, bei uns sitzt man auf dem Boden: auch außergewöhnlich. Oder dass damals als Jasper van`t Hof nach seinem open air – Konzert im Sommer 2009 gesagt hat: Ich will nochmal bei Euch spielen und im Herbst mit Bob Malach wiederkam – auch schön. Vor allem haben die so lange gespielt, dass wir mindestens drei Mal anrufen mussten, um den Tisch für ein Essen hinterher wieder nach hinten zu verschieben.

Gibt es Ereignisse, an die Du besonders gerne zurückdenkst?

Da greif ich das Essen mit Jasper nochmal auf. Das war eigentlich die totale Ausnahme. In der Regel gibt`s bei den Studio – Konzerten Pizza. Und die isst man meistens zwischen Soundcheck und Konzert. Man sitzt gemeinsam am Tisch, redet, und hatte oft ein sehr familiäres, ungezwungenes Gefühl, konnte viel erfahren über die Musiker*innen, ihre Musik, ihre Geschichten. Und für mich war`s auch ganz eindrücklich wieviele Besucher*innen sich bedankt haben, bei uns, bei mir, dafür, dass wir diese Konzerte mit dem Jazzclub veranstaltet haben. Das war und ist das Besondere an dem Konzept, das Gefühl, ganz dicht, ganz unmittelbar bei der Musik, manchmal in der Musik dabei zu sein, in der Pause oder nach dem Konzert vielleicht auch noch mit den Musiker*innen oder dem Techniker reden zu können. Mir ist es immer wieder so gegangen, dass ich manchmal gespannt war, besonders bei recht ungewöhnlichen Formationen, ob die Musik ankommt, beim Publikum, ob da wirklich was ins Fließen kommt. Einmal hatten wir einen Schlagzeuger aus der Schweiz zu Gast, Gilbert Paeffgen, der spielte weite Strecken des Konzerts auf dem Hackbrett, ganz besonders, so was. Ich war fasziniert und ziemlich begeistert. Und als ich merkte, auch das Publikum ist fasziniert, vielleicht sogar berührt, dann redet vielleicht sogar d`r Schwob von einem Glücksmoment. Oder ganz zum Schluss: Unsere Live stream – Konzerte: Alles totales Neuland für uns. Für die Musiker, die Techniker*innen, die Organisation. Aber wenn man die Konzerte jetzt anschaut: So innige Momente wie bei Clara Vetter, so einen fetten Groove wie bei Axel Kühn oder dieser wunderbare Bilderbogen von Dizzy Krisch zum 20. Jubiläum der Reihe – saumäßig gut!